Zur gerichtlichen Feststellung der Zahlungsunfähigkeit bei Insolvenzverschleppung

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BGH bestätigt Erfordernis penibler Beweiserhebung und Beweiswürdigung auch zu Berechnungsfragen – entsprechende Verteidigerrügen sind häufig lohnenswert
Nach den in unserer Berufspraxis gewonnenen Erfahrungen als Wirtschaftsstrafverteidiger erfolgt gerade die Ermittlung solcher Voraussetzungen von Straftatbeständen, die in erster Linie rechnerisch zu bestimmen sind, sowohl von Seiten der (ermittelnden und anklagenden) Staatsanwaltschaft als auch der (verurteilenden) Gerichte häufig nicht genau genug. Die gemäß § 15a InsO strafbare Insolvenzverschleppung ist hierfür beispielhaft.
So macht sich etwa ein GmbH-Geschäftsführer der Insolvenzverschleppung grds. dann strafbar, wenn die GmbH zahlungsunfähig ist und er nicht spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag stellt, wobei auch ein fahrlässiges Unterlassen strafbar ist.
Zentraler Begriff ist hierbei die „Zahlungsunfähigkeit“. Aber (ab) wann liegt diese vor bzw. darf ein entsprechendes Vorliegen als bewiesen angesehen werden?
Zunächst hat die Staatsanwaltschaft dies bei ihrer Entscheidung dazu, ob sie gegen den Geschäftsführer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einleitet und ihn bei Erhärtung eines entsprechenden Verdachts beim Strafgericht anklagt, zu prüfen. Erfolgt eine solche Anklage und wird das Hauptverfahren eröffnet, hat wiederum das Strafgericht die Zahlungsunfähigkeitsfrage bei seiner Entscheidungsfindung erneut zu beantworten.
Da es sich hierbei um einen zumeist schwierig zu prüfenden Punkt handelt, machen sich Staatsanwaltschaften und Strafgerichte die Ermittlung insoweit häufig zu einfach und vertrauen gleichsam „blind“ der rein zivilrechtlichen Einschätzung des zuständigen Insolvenzverwalters zum Eintritt der sog. Insolvenzreife wegen Zahlungsunfähigkeit, die dieser in seinem Insolvenzverfahrensgutachten praktischerweise ja bereits fachkundig abgehandelt hatte.
In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 25. August 2016 – 1 StR 290/16) unlängst bestätigt, dass eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden liquiden Mittel andererseits zum Zwecke des Tatnachweises der Insolvenzverschleppung als Beweiserhebungsmethode des Strafgerichts zwar zulässig ist. Allerdings muss hierbei so penibel vorgegangen werden, dass die strafgerichtliche Darstellung der Liquiditätslage der Gesellschaft zu ausgewählten Stichtagen so aussagekräftig ist, dass eine nachträgliche Überprüfung – insbesondere durch ein Revisionsgericht – ohne weiteres möglich ist. Auch die Art und Weise der Berechnung bzw. der Rechenweg als solcher muss durch ein Revisionsgericht lückenlos nachvollzogen werden können.
In dem vom Bundesgerichtshof hierzu jüngst entschiedenen Fall stützte sich die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit lediglich auf die Angaben des im Strafprozess als Zeugen geladenen Insolvenzverwalters, der aber nur im Ergebnis seiner Ausführungen eine Unterdeckungsquote zu verschiedenen Stichtagen bekundet hat. Ein weiterer sachverständiger Zeuge (Sachbearbeiterin für Buchprüfung beim Landeskriminalamt) konnte aufgrund der mangelhaften Buchhaltung zu den maßgeblichen Stichtagen jedoch überhaupt keinen Liquiditätsstatus berechnen. Eine konkrete stichtagsbezogene Gegenüberstellung im o.g. Sinne fehlte also.
Dennoch sah das Strafgericht das Bestehen einer Zahlungsunfähigkeit für einen längeren Zeitraum als drei Wochen als erwiesen an und verurteilte den Geschäftsführer entsprechend – nach der vorstehenden Argumentation des BGH zu Unrecht.
Ein genaues „Nachrechnen“ durch die Verteidigung – erforderlichenfalls in Kooperation mit einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer von ECOVIS – dürfte sich bei einschlägigen Fällen also häufig lohnen, um sich effektiv gegen den Vorwurf der Insolvenzverschleppung zur Wehr zu setzen. Dies sollte so früh wie möglich, und zwar bereits im Ermittlungsverfahren erfolgen, damit das Strafverfahren in geeigneten Fällen möglichst ohne belastende öffentliche (!) Hauptverhandlung eingestellt werden kann.