Zur Auslegung des Tarifvertrag – Ärzte

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Nachdem die Streiks in kommunalen und öffentlichen Krankenhäusern beigelegt werden konnten, beginnt nunmehr eine zweite Stufe der Auseinandersetzung, nämlich die Auslegung der Tarifverträge. Die Krankenhäuser versuchen auch weiterhin die Gehälter auf einem niedrigen Niveau zu halten, insbesondere durch die Einstufung des Oberarztes als Facharzt und die Nichtanerkennung des AIP als Beschäftigungszeit. Dieser Beitrag stellt die Probleme der Auslegung dar und bietet konkrete Lösungsansätze.

I. Einleitung
Nach langen und intensiven Verhandlungen zwischen dem Marburger Bund und den Arbeitgeberverbänden (VKA) sowie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), ist der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) durch die neuen arztspezifischen Tarifverträge mit Geltung für kommunale und öffentliche Krankenhäuser abgelöst worden. Sie sind für kommunale Krankenhäuser rückwirkend zum 01.08.2006, für die Universitätskliniken zum 01.11.2006 in Kraft getreten. Die Tarifverträge entfalten für die jeweiligen Krankenhäuser Geltung, soweit diese nicht einen Haustarifvertrag mit dem Marburger Bund abgeschlossen haben.

Streit besteht nunmehr über die Eingruppierung der Ärzte in die entsprechenden Entgeltgruppen. 60 % der Krankenhäuser legen die Tarifverträge restriktiv aus, was zur Folge hat, dass z.B. viele Oberärzte zwar als solche arbeiten, selbst den Titel tragen dürfen, aber letztendlich als Facharzt eingestuft werden. Die Auslegung des Tarifvertrages wird dabei durch die jeweilige Krankenhausverwaltung vorgenommen. Diese machen sich den derzeit rechtsprechungsfreien Raum zu nutze und berufen sich auf die Auslegungsrichtlinien des Verbandes der Universitätsklinika Deutschland (VUD). Dass diese nicht im Sinne der Ärzteschaft ist, versteht sich von selbst.

II. Tarifvertragliche Regelung für Oberärzte

Die tarifliche Entgeltregelung lautet gem. § 12 TV-Ärzte:
„Die Beschäftigten sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübenden Tätigkeit wie folgt eingruppiert:

Ä 1 Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit

Ä 2 Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit

Ä 3 Oberärztin/Oberarzt

Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist.

Oberarzt ist ferner der Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion, für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung fordert.

In Abweichung dazu bestimmt § 16 TV-Ärzte/VKA, dass Oberarzt nur derjenige Arzt ist, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

  1. Eingruppierung der OberärzteViele Oberärzte werden nunmehr nicht in die Entgeltgruppe Ä 3 eingestuft, sondern als Facharzt mit der Einstufung Ä 2 bezahlt. Dabei ergeben sich Gehaltsunterschiede von bis zu 1.300,- € monatlich.Die Krankenhäuser argumentieren, dass nur bei einer tatsächlichen und ausdrücklichen Übertragung eines selbständigen Teil- oder Funktionsbereichs eine Einstufung als Oberarzt erfolgen kann. Sie stellen folglich zwei Voraussetzungen auf:- Der Funktionsbereich muss selbständig sein;
    – Die Übertragung muss in tatsächlicher Hinsicht erfolgen und ausdrücklich sein.

    a) Selbständigkeit des Funktionsbereiches

    Dieser Auslegung kann nicht ohne weiteres gefolgt werden. Weder § 12 TV-Ärzte noch § 16 TV Ärzte/VKA sagen etwas über die Art und Weise der Ausgestaltung des Teil- oder Funktionsbereichs. Damit war eine allgemeine Formulierung gewollt, so dass jeder Teil- und jeder Funktionsbereich bereits die Voraussetzung erfüllt. Selbständig muss dieser Bereich hingegen nicht sein. Die Selbständigkeit stellt eine höhere Anforderung dar. Sie würde bedeuten, dass der Oberarzt ein mehr an Verantwortung übernehmen müsste. Denn soweit selbständige Bereiche vorliegen, müssen auch eigenständige Entscheidungen getroffen werden. Ein solches Mehr hätten die Tarifvertragsparteien jedoch bedacht und die Selbständigkeit ausdrücklich mit in den Tarifvertrag aufgenommen. In der jetzigen Formulierung muss damit jeder Teil- und Funktionsbereich gemeint sein, selbst dann, wenn nur mehrere Teil- und Funktionsbereiche gemeinsam als selbständig gelten.

    b) Ausdrückliche Übertragung

    Des Weiteren müsste die Tätigkeit vom Arbeitgeber übertragen worden sein. Hier unterscheiden sich § 12 TV-Ärzte und § 16 TV-Ärzte/VKA, da letzterer fordert, dass die Übertragung ausdrücklich erfolgt sein muss.

    Im Rahmen von § 16 kann daher nicht jede medizinische Verantwortung eine Oberarztstellung bedeuten. Fraglich ist aber, was in den Fällen anzunehmen ist, in denen die Ärzte nicht nur die Verantwortung übernehmen, sondern auch den Titel Oberarzt führen bzw. als solche in der Außendarstellung auftreten.

    aa) Wortlautauslegung

    Ausdrücklichkeit im klassischen Sinne kann nur dann angenommen werden, wenn die Verwaltung des Krankenhauses zuvor mitgeteilt hat, dass die Stelle als Oberarzt zu besetzen ist. Einer besonderen Form bedarf die Mitteilung nicht, sie kann daher auch mündlich erfolgen. Wird der Oberarzt jedoch als solcher – auch in der Außendarstellung – tätig, ohne dass eine ausdrückliche Mitteilung der Verwaltung vorliegt, spricht dies zunächst gegen eine ausdrückliche Übertragung. Insoweit liegt ein konkludentes Handeln vor. Nach der Wortlautauslegung muss daher der Übertragungsakt durch die Krankenhausverwaltung erfolgt sein.

    bb) Sinn und Zweck

    Diese Auslegung würde jedoch dem Sinn und Zweck des Tarifvertrages nicht entsprechen.

    Die Krankenhausverwaltungen hätten es ansonsten einseitig in der Hand, die Entgeltgruppen zu bestimmen. Sie könnten jederzeit die Ärzte als Oberärzte beschäftigen, aber nach dem Facharztgehalt bezahlen, da sie die Übertragung nicht ausdrücklich vorgenommen haben. Es muss daher vom Wortlaut abgewichen werden und auf die tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelfall geschaut werden. Nimmt ein Facharzt regelmäßig auch Oberarztaufgaben wahr, wird dies noch nicht ausreichen, um auch eine entsprechende Einstufung in der Entgeltgruppe zu erhalten. Tritt hingegen der Facharzt als Oberarzt auch in der Außendarstellung auf, z.B. durch Unterzeichnung als Oberarzt, würde man den Tarifvertrag deutlich überstrapazieren, wenn man an der Wortlautauslegung festhielte.

    Die Einstufung kann daher nicht an der ausdrücklichen Übertragung festgemacht werden. Vielmehr ist zu schauen, wie ein objektiver Dritter die Tätigkeit des Arztes sieht.

    Anders muss die Beurteilung jedoch bei § 12 TV-Ärzte erfolgen. Dieser wurde nachrangig von den Tarifvertragsparteien verhandelt und sieht die Ausdrücklichkeit der Übertragung nicht als Voraussetzung vor. Die Tarifvertragsparteien müssen daher das Problem der ausdrücklichen Übertragung erkannt haben und sich bewusst für eine abgeschwächte Form entschieden haben. Hätten sie über den Wortlaut nicht nachgedacht, so wäre die Formulierung aus dem TV-Ärzte/VKA übernommen worden.

    Gleichwohl muss auch nach § 12 TV-Ärzte noch eine Übertragung stattfinden. Diese kann nunmehr aber auch konkludent erfolgen. Dies hat zur Folge, dass Fachärzte, die als Oberarzt in der Außendarstellung auftreten, auch als Oberärzte einzustufen sind. Die Krankenhausverwaltungen haben die Aufgaben übertragen. § 12 TV-Ärzte geht jedoch noch weiter. Konsequenterweise muss nach dieser Formulierung auch derjenige Facharzt als Oberarzt eingestuft werden, der mindestens die Hälfte der Zeit mit den Aufgaben eines Oberarztes betraut ist. Um dies festzustellen, muss wiederum eine Einzelbetrachtung erfolgen. Es ist daher zu schauen, welche Tätigkeiten ein Oberarzt im jeweiligen Krankenhaus vornimmt. Im Anschluss ist diese Tätigkeit mit der eines Facharztes zu vergleichen.

  2. Anrechnung des AIPEin weiteres Problem besteht derzeit darin, ob die ehemaligen Zeiten des Arztes im Praktikum bei der Stufenzuordnung in der Entgeltgruppe berücksichtigt werden müssen. Der Tarifvertrag regelt diese Frage nicht ausdrücklich, sondern besagt nur, dass Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung als förderliche Zeiten berücksichtigt werden. Das erste arbeitsgerichtliche Verfahren ist bereits vor dem Arbeitsgericht Hamburg eingeleitet.Gegen die Berücksichtigung des AIP als förderliche Zeiten, könnte zunächst das Urteil des BAG vom 08.11.2006 sprechen (Az. 4 AZR 624/05). In diesem Fall endeten die vorläufigen Approbationen für das AIP mit dessen Abschaffung zum 30.09.2004. Die Ärzte im Praktikum waren daher verpflichtet, zum 01.10.2004 eine neue Approbation für die ärztliche Tätigkeit vorzulegen. Nach dessen Vorlage, hatten sie ab dem 01.10.2004 in dem konkreten Fall den Anspruch auf Vergütung eines Arztes nach BAT. Das Vertragsverhältnis ist konkludent als Arbeitsverhältnis weitergeführt worden.Wurde damit eine neue Approbation für die ärztliche Tätigkeit verlangt, könnte im Umkehrschluss argumentiert werden, dass das AIP eine solche Tätigkeit gerade nicht umfasst. In diesem Fall wären die Zeiten des AIP nicht anrechenbar.Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Tarifvertrag sieht gerade nicht vor, dass nur ärztliche Tätigkeiten angerechnet werden können, sondern vielmehr jede einschlägige Berufserfahrung als förderliche Zeiten berücksichtigt werden.
    Das AIP stellt eine solche einschlägige Berufserfahrung dar. Dabei kann nicht verlangt werden, dass tatsächlich ärztliche Tätigkeit in vollem Umfang durchgeführt worden ist. Ausreichend muss vielmehr jegliche, auch noch so kleine ärztliche Tätigkeit sein.

    Hätten zudem die Tarifvertragsparteien das AIP ausschließen wollen, hätten sie dies ausdrücklich geregelt.

  3. Fazit:Die neue Rechtsprechung bleibt abzuwarten. Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Verwaltungen der Krankenhäuser ihr derzeitiges Vorgehen nicht aufrecht erhalten können. Bei der Tätigkeit als Oberarzt muss zwischen den Tarifverträgen TV-Ärzte/VKA und TV-Ärzte unterschieden werden. Ärzte, die dem TV-Ärzte unterfallen, werden einen Anspruch auf Oberarztvergütung haben, wenn sie mindestens 50 % Oberarzttätigkeit leisten. Hingegen werden die Ärzte, die dem TV-Ärzte/VKA unterfallen, aufzeigen müssen, warum die Verwaltungen den Tarifvertrag umgehen. Dies wird ihnen gelingen, wenn sie in der Außendarstellung deutlich als Oberärzte auftreten.Soweit die Beschäftigungszeiten des AIP betroffen sind, spricht einiges dafür, die Zeiten bei der Stufenzuordnung anzurechnen. Dies gilt zumindest dann, wenn der Arzt im Praktikum einfache ärztliche Tätigkeiten durchgeführt hat. Dies wird er im Einzelfall belegen müssen.

Erste Urteile bestätigen die Ärzte Meinung:

Arbeitsgericht Kassel zum Thema Eingruppierung eines Oberarztes
Im Streitfall um die Eingruppierung und Vergütung von Oberärzten haben die betroffenen Ärzte einen juristischen Erfolg errungen.
Am 27. Juni urteilte das Arbeitsgericht Kassel in einem vom Marburger Bund (MB) geführten Fall eines Oberarztes aus Kassel, dass ihm laut Ärzte-Tarifvertrag des MB die Oberarztvergütung zusteht (AZ 5 Ca 116/07). Das betroffene Klinikum Kassel hatte den Oberarzt eine Stufe tiefer in die Entgeltgruppe für Fachärzte eingruppiert. Dem Arzt werden damit monatlich mehrere Hundert Euro an Einkommen vorenthalten. Gleichzeitig übe aber der betroffene Arzt Oberarzttätigkeiten aus.

Arbeitsgericht Magdeburg zur Anrechnung des AiP als einschlägige Berufserfahrung:
In seinem Urteil (AZ: 6 Ca 944/07) vom 9.8.2007 befand das ArbG Magdeburg, dass die AiP-Zeit des klagenden Assistenzarztes als Berufserfahrung im Sinne des §16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ä anerkannt werden muss Damit kann der Kläger rückwirkend zum 1. Juli 2006 monatlich rund 350 Euro mehr an Gehalt nach der Stufe 5 der Entgeltgruppe Ä1 von der Universität fordern.

Tim Reichelt
Rechtsanwalt
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