Arzthaftung: Haftungsfallen, wohin man blickt

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München – Ein Arzt, der im privaten Umfeld mit medizinischen Fragestellungen konfrontiert wird, haftet im Ergebnis für sein Verhalten wie während seiner regulären Tätigkeit. In den meisten Fällen wird jedoch die Schwelle zur (Be-)Handlung gar nicht überschritten sein.
„Nur eine kurze Frage …“
Sonntagabend, der „Tatort“ hat gerade begonnen, Dr. X lässt sich auf sein Sofa fallen, da klingelt das Telefon: „Hallo du, ich hätte da eine Frage, weil mein Husten jetzt seit zehn Tagen nicht besser wird …“ – so oder ähnlich hat dies wohl jeder Arzt schon erlebt. Gern wird auch auf privaten Feiern die günstige Gelegenheit genutzt, ohne lästiges Warten im Wartezimmer den Herrn Doktor kurz zu befragen. Doch wie weit ist der Arzt in diesen Fällen zur Verantwortung zu ziehen, wenn der spontan erteilte Rat nicht den gewünschten Erfolg zeigt oder gar eine Verschlechterung des Zustands hervorruft? Eine Haftung für einen Schaden, der durch ärztliche Fehlbehandlung entsteht, kann entweder aus dem Behandlungsvertrag hergeleitet werden oder auf allgemeinen Haftungsregeln, der sogenannten deliktischen Haftung, gründen.
Eine vertragliche Haftung gibt es bei dem in seiner Freizeit beratenden Arzt nicht, da der Anrufer oder Partygast ja keine vertragliche Bindung mit dem Arzt eingehen möchte, die für beide Seiten entsprechende Pflichten – wie etwa auch ein Honorar – einschließen würde. Der Arzt haftet also deliktisch. In den meisten Fällen wird sich die ärztliche Behandlung auf die Beratung beschränken und keine tatsächliche Behandlung umfassen. „Hier kommen daher in erster Linie Fehler bei der Diagnoseerstellung oder bei einer Medikamentenempfehlung respektive -verschreibung in Betracht“, erklärt Ina von Bülow, Rechtsanwältin. Soweit der befragte Arzt nur eine erste Einschätzung abgibt und beispielsweise den zuständigen Facharzt benennt oder eine mögliche Therapie skizziert, wird es an einer konkreten vorwerfbaren Handlung fehlen, aus der der Arzt haftbar gemacht werden kann. „Sobald es jedoch zu einem konkreten Eingreifen und damit einem Behandlungsbeginn kommt, trifft den Arzt die Haftung für Fahrlässigkeit und Vorsatz“, sagt von Bülow. Das wäre etwa der Fall, wenn Dr. X unter Vorlage seines Arztausweises in der Notapotheke noch einen verschreibungspflichtigen Hustensaft besorgt und diesen an den Anrufer abgibt. Sollte sich hieraus eine Schädigung des Patienten ergeben, so haftet er grundsätzlich genauso, wie wenn er das Medikament in seiner Praxis verschrieben hätte.
Hinzu kommt, dass Ärzte von ihrem Umfeld häufig auch zu fachfremden medizinischen Problemen befragt werden. Verschreibt Dr. X beispielsweise Hustensaft, obwohl er Dermatologe ist, besteht die Gefahr, dass der Arzt seine Kompetenzen falsch einschätzt und eine Behandlung beginnt, die nicht den Standards des jeweiligen Fachgebiets entspricht. In diesem Fall kommt eine Haftung aus dem sogenannten Übernahmeverschulden in Betracht.
„Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt …“
Im Rahmen einer Notfallbehandlung haftet der zufällig anwesende Arzt nicht nach den sonst üblichen strengen Maßstäben des Arzthaftungsrechts, und eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten scheidet in der Regel aus. Von der Beratung des Arztes gefälligkeitshalber in seinem Freundes-und Bekanntenkreis wird die akute Notfallbehandlung durch den zufällig anwesenden Arzt unterschieden. Dies betrifft den Fall des plötzlichen Auftretens eines medizinischen Notfalls, ohne dass professionelle Notärzte unmittelbar erreichbar sind bzw. bis zu deren Eintreffen, wie es in einem Flugzeug der Fall sein kann.
„Die Annahme eines Behandlungsvertrags scheidet auch in dieser Konstellation aus, da es dafür am Willen von Arzt und Behandeltem fehlen wird, sich vertraglich zu binden. Allein aus der Tatsache, dass der Arzt gegenüber nicht medizinisch vorgebildeten Personen über einen Wissensvorsprung verfügt, kann keine weitergehende Haftung abgeleitet werden, kommentiert Rechtsanwalt Axel Keller. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden, dass ein Gynäkologe, der zufällig zugegen war, als ein Kind zu ertrinken drohte und dieser das Kind fälschlicherweise für tot erklärte, nicht allein deshalb Haftungsverschärfungen unterliegt, weil er Arzt ist und dies auch zu erkennen gab. Die im Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze zur Beweislast, insbesondere die Beweislastumkehr zugunsten des Patienten, dürften in einem solchen Fall nicht gelten. Konsequenz wäre sonst, dass Ärzte aus Sorge vor einer Inanspruchnahme wegen möglichen Fehlverhaltens nicht mehr unbelastet in jeder Situation die erforderliche Hilfe leisten würden.
Daher hat das OLG München den Arzt von dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers entlastet, denn das Verhalten bei Ertrinken ist nicht dem täglich ausgeübten Tätigkeitsbereich eines Gynäkologen zuzurechnen. Ein Rückgriff auf das in der ärztlichen Ausbildung Erlernte führt in diesem Fall zu weit.
Entscheidend für den Haftungsmaßstab ist daher zum einen die Fachrichtung des eingreifenden Arztes. „Zum anderen muss berücksichtigt werden, dass der Arzt die Behandlung nicht aufgrund eines freiwillig mit einem Patienten eingegangenen Vertragsverhältnisses durchführt, sondern wegen seiner strafrechtlich bewehrten Verpflichtung, in einem Notfall Hilfe zu leisten“, sagt Keller.
 
 

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