EuGH: Fremdbesitzverbot bei Apotheken verstößt nicht gegen Europarecht

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Doc Morris-Ära geht zu Ende
Das deutsche Fremdbesitzverbot bei Apotheken, nach dem nur Apotheker eine Apotheke besitzen und betreiben dürfen, ist mit der Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrages vereinbar und deshalb auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten anzuwenden. Dies hat der Europäische Gerichtshof im Fall der deutschen Niederlassung der Apothekenkette DocMorris mit Urteil vom 19.05.2009 entschieden (Az.: C-171/07 und C-172/07). Kritik an dem Urteil kam von der saarländischen Landesregierung, die im Jahr 2006 dem niederländischen Unternehmen Doc Morris die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke erteilt hatte. Die Doc Morris Apotheke in Saarlouis werde dennoch bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Saarlouis geöffnet bleiben, gab Ralf Däinghaus, Gründer und Vorstandsvorsitzender von Apotheke DocMorris per Pressemitteilung bekannt. Das VG hatte den EuGH angerufen.

Das Verfahren
Die verbundenen Rechtssachen C-171/07 und C-172/07 (Apothekerkammer des Saarlandes und andere) gehen darauf zurück, dass das zuständige saarländische Ministerium der niederländischen Aktiengesellschaft DocMorris die Erlaubnis erteilt hat, ab Juni 2006 eine Filialapotheke in Saarbrücken zu betreiben. Mehrere Apotheker und ihre Berufsverbände haben die Entscheidung des Ministeriums wegen Unvereinbarkeit mit dem deutschen Recht, das das Recht zum Besitz und Betrieb von Apotheken Apothekern vorbehält, vor dem VG Saarlouis angefochten. Das VG hat den EuGH angerufen, um klären zu lassen, ob die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen sind, dass sie einer derartigen Regelung entgegenstehen. In der Rechtssache C-531/06 (Kommission/Italien) hat die Europäische Kommission unter anderem beantragt, festzustellen, dass Italien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verstoßen hat, dass es den Besitz und den Betrieb privater Apo!
theken Apothekern vorbehält.

EuGH: Schutz vor Gesundheitsgefahren geht vor
Der Ausschluss von Nichtapothekern vom Betrieb einer Apotheke oder vom Erwerb von Beteiligungen an Apotheken betreibenden Gesellschaften stellt nach dem Urteil der EuGH-Richter eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs dar. Diese Beschränkung lasse sich jedoch mit dem Ziel rechtfertigen, eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung von Gefahren für die menschliche Gesundheit bleibe, müsse der Mitgliedstaat Schutzmaßnahmen treffen können, ohne warten zu müssen, bis der Beweis für das tatsächliche Bestehen dieser Gefahren vollständig erbracht sei. Außerdem könne der Mitgliedstaat diejenigen Maßnahmen treffen, die eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung, wozu im Einzelnen eine Gefahr für die sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gehöre, weitestmöglich verringerten.

Arzneimittel unterscheiden sich substanziell von anderen Waren
In diesem Zusammenhang betont der Gerichtshof den ganz besonderen Charakter von Arzneimitteln. Ihre therapeutischen Wirkungen unterschieden sie substanziell von den übrigen Waren. Aufgrund dieser therapeutischen Wirkungen könnten Arzneimittel, wenn sie ohne Not oder falsch eingenommen würden, der Gesundheit schweren Schaden zufügen, ohne dass der Patient sich dessen bei ihrer Verabreichung bewusst sein könne. Eine übermäßige Einnahme oder falsche Verwendung von Arzneimitteln führe außerdem zu einer Verschwendung finanzieller Mittel. Eine solche sei umso schädlicher, als der Pharmabereich erhebliche Kosten verursache und wachsenden Bedürfnissen entsprechen müsse, während die finanziellen Mittel, die für die Gesundheitspflege bereitgestellt werden könnten, unabhängig von der Art und Weise der Finanzierung nicht unbegrenzt seien.

Berufliche Unabhängigkeit trotz wirtschaftlicher Ziele
Die Mitgliedstaaten seien befugt, über das Niveau des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung zu entscheiden, fährt der EuGH fort. Deshalb könnten sie verlangen, dass Arzneimittel von Apothekern vertrieben würden, die über tatsächliche berufliche Unabhängigkeit verfügten. Es lasse sich zwar nicht leugnen, dass ein Apotheker ebenso wie andere Personen das Ziel verfolge, Gewinne zu erwirtschaften.

Als Berufsapotheker sei bei ihm aber davon auszugehen, dass er die Apotheke nicht nur aus rein wirtschaftlichen Zwecken betreibe, sondern auch unter einem beruflich-fachlichen Blickwinkel. Sein privates Interesse an Gewinnerzielung werde somit durch seine Ausbildung, seine berufliche Erfahrung und die ihm obliegende Verantwortung gezügelt. Denn ein etwaiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder berufsrechtliche Regeln erschüttere nicht nur den Wert seiner Investition, sondern auch seine eigene berufliche Existenz.

Vorrang der Sicherheit
Nichtapotheker unterschieden sich von Apothekern dadurch, dass sie definitionsgemäß keine derjenigen der Apotheker entsprechende Ausbildung, Erfahrung und Verantwortung hätten, so der EuGH. Demnach böten sie nicht die gleichen Garantien wie Apotheker. Folglich könne ein Mitgliedstaat im Rahmen seines Wertungsspielraums der Ansicht sein, dass der Betrieb einer Apotheke durch einen Nichtapotheker eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere für die Sicherheit und Qualität des Einzelhandelsvertriebs der Arzneimittel, darstellen könne.

Fragliche Alternativen
Es sei auch nicht erwiesen, dass eine weniger beschränkende Maßnahme als der Ausschluss von Nichtapothekern es erlauben würde, ebenso wirksam das sich aus der Anwendung dieser Regel ergebende Niveau der Sicherheit und Qualität der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Aufgrund seines Wertungsspielraums könne ein Mitgliedstaat der Ansicht sein, dass die Gefahr bestehe, dass in der Praxis gegen weniger beschränkende Regeln zur Sicherstellung der beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker, wie etwa ein Kontroll- und Sanktionssystem, verstoßen werde, weil das Interesse eines Nichtapothekers an der Erzielung von Gewinnen nicht entsprechend dem der selbstständigen Apotheker gemäßigt würde und die Unterstellung von Apothekern als Angestellte unter einen Betreiber es für sie schwierig machen könnte, sich den von diesem Betreiber erteilten Anweisungen zu widersetzen. Ergebnis sei, so die Luxemburger Richter, dass die Niederlassungsfreiheit und der freie Kapitalv!
erkehr einer nationalen Regelung nicht entgegenstünden, die Personen, die keine Apotheker seien, den Besitz und den Betrieb von Apotheken verwehre.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien abgewiesen
Der Gerichtshof hat auch die Klage wegen Vertragsverletzung, die die EU-Kommission gegen Italien erhoben hat, abgewiesen. Er stellt insoweit fest, dass nicht nur der Ausschluss der Nichtapotheker vom Betrieb einer privaten Apotheke gerechtfertigt sein kann, sondern auch das die Vertriebsunternehmen pharmazeutischer Produkte treffende Verbot, sich an kommunalen Apotheken zu beteiligen.

Sebastian Vorberg
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
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