Neue Herausforderungen im Ackerbau

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Obwohl es noch nie so risikoarme Wirkstoffe gab wie heute, wird den Landwirten diese Möglichkeit, Ungeziefer und Unkraut zu bekämpfen und damit ihre Ernteerträge zu sichern, verloren gehen.

 

Kaum etwas anderes wird pauschal so negativ bewertet wie Pflanzenschutzmittel. Obwohl zu Unrecht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es angesichts der verbraucherorientierten politischen Entscheidungen in Europa in den nächsten Jahren zum Verlust der wichtigsten Pflanzenschutzwirkstoffe aufgrund von unrealistischen Beurteilungskriterien kommen wird. Wie nun haben sich die Dinge dahin entwickelt? Ab 1970 verbannten immer wirksamere Herbizide zur Regulierung der Ungräser und Unkräuter diese Konkurrenzpflanzen von den Feldern. Als Folge stiegen die Erträge, aber im Gegenzug setzte auch ein Rückgang der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ein. Wachstumsregulatoren verbesserten die Standfestigkeit des Getreides, was in Verbindung mit der angepassten Stickstoffdüngung immer höhere Erträge ermöglichte. Bessere Nährstoffversorgung der Pflanzen und spätere Abreife förderten allerdings auch Schadpilze und tierische Schädlinge wie beispielsweise Blattläuse.

Der Vormarsch der Pilze

Die extreme Ausweitung der Winterfrüchte zulasten von Sommerkulturen und die Konzentration auf nur wenige Zuchtsorten mit ähnlichen Eigenschaften veränderten seit 1980 den Anspruch an den Pflanzenschutz: Es wurde immer wichtiger, die epidemische Entwicklung von Pilzkrankheiten einzudämmen. Ohne wirksame Pflanzenschutzmittel verursachen aggressive Blattkrankheiten Ernteverluste bis zu 40 Prozent. Diese können heute zuverlässig verhindert werden, aber auch neue Schadpilze breiten sich aus. So sind Fusarium-Arten in Getreide, Mais und Ackergras in den vergangenen 25 Jahren zu einem großen Qualitätsproblem geworden. Durch die Bildung von Mycotoxinen im Erntegut verursachen sie eine chronische Belastung der Nutztiere über kontaminierte Futtermittel sowie des Menschen über Nahrungsmittel.

Seit 1990 verlängern Wachstumsregler und Fungizide die ertragsbildende Phase und verzögern die Abreife, sodass die Ernte später als noch vor 30 Jahren erfolgt. Der Zeitraum für die Stoppelbearbeitung nach der Ernte ist somit kürzer als früher, und der Übergang von Schadpilzen aus der Vorfrucht auf die Folgefrucht wird erleichtert. Die Forderung der Praxis, vor allem Winterweizen immer früher zur Aussaat zu bringen, kollidiert mit der knappen Zeitspanne für Stoppelbearbeitung und Saatbettbereitung – eine Strohrotte ist an vielen Standorten kaum noch möglich. Aus diesem Grund sind standorttreue Schadpilze der Wurzel und der Halmbasis von Raps und Getreide so stark verbreitet wie nie zuvor und begrenzen zunehmend das Ertragspotenzial. Wirksame Resistenzen der Kulturpflanzen fehlen bislang oder sind durch Kreuzungszüchtung nicht oder nur schwer einzubringen. Deshalb besteht ein zunehmendes Missverhältnis zwischen dem genetisch fixierten Ertragspotenzial von Getreide und Raps und der tatsächlichen Ernte.

In der EU ist die Anzahl der Wirkstoffgruppen für den Pflanzenschutz klein geworden. Daraus resultiert zwangsläufig der wiederholte Einsatz wirkungsgleicher Pflanzenschutzmittel. Die Folgen spürt man seit dem Jahr 2000 immer stärker: Rapsschädlinge sind resistent gegen wichtige Insektizide, und Schadpilze des Getreides können mit einigen Fungizidwirkstoffen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr erfasst werden. Deshalb werden die noch wirksamen Substanzen immer häufiger eingesetzt – weitere Resistenzgefahren drohen! Gegen die sich massiv ausbreitenden Ungräser im Ackerbau gibt es kaum noch wirksame Präparate, sodass in manchen Regionen bei extremem Auftreten von Ackerfuchsschwanz eine radikale Änderung der Bewirtschaftung erforderlich wird.

Teure Suche nach neuen Substanzen

Die Anforderungen an Pflanzenschutzmittel im Rahmen der europäischen Wirkstoffzulassung (EU-VO 1107/2009) steigen immer weiter, und so sinkt seit 2010 die Erfolgsquote bei der Findung neuer Wirkstoffmoleküle nahezu ins Bodenlose. Von 100.000 geprüften Substanzen schafft es nur eine einzige, alle Kriterien zu erfüllen und nach zehn bis zwölf Jahren eine Zulassung zu erhalten. Das macht Investitionen von über 200 Millionen Euro für die Entwicklung eines einzigen Wirkstoffs erforderlich. Das von der Praxis wahrgenommene Innovationstempo verlangsamt sich deshalb zwangsläufig, und oft wird der Vorwurf laut, die Pflanzenschutzindustrie investiere zu wenig in die Forschung.

Für die bislang in der EU zugelassenen Pflanzenschutzwirkstoffe erfolgt derzeit eine grundlegende Neubewertung ihrer toxikologischen Eigenschaften. Nachdem man bisher das reale Risikopotenzial von Pflanzenschutzmitteln auf der Basis der ausgebrachten Form („Spritzbrühe“) bewertet hat, wird das in Zukunft anders. Analog zum Chemikalienrecht sollen die konzentrierten Handelspräparate auf ihr Gefahrenpotenzial geprüft und bewertet werden. Auch wenn dieser Weg aus fachlicher Sicht nicht nachvollzogen werden kann, wird er politisch gefordert und durchgesetzt. Die Prüfkriterien stehen derzeit zwar noch nicht endgültig fest, eines ist aber ganz sicher: Nach der neuen Bewertung wird sich die Anzahl der verfügbaren Wirkstoffe drastisch verringern. Und so wird es zum Wegfall der wichtigsten Instrumente kommen, ohne dass derzeit auch nur ansatzweise Ersatz in Aussicht ist.

In der öffentlichen Meinung haben Pflanzenschutzmittel in Europa den Nimbus „unerwünschter Stoffe“. NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und Medien sorgen durch reißerische, unbegründete Negativschlagzeilen für eine erhebliche Sensibilisierung der Konsumenten, schüren die Angst der Verbraucher vor „Vergiftung“ und fordern die totale Abschaffung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel. Vor diesem Hintergrund steht die landwirtschaftliche Praxis vor völlig neuen Herausforderungen, denn Pflanzen lassen sich – anders als von Kritikern dargestellt – nicht allein durch die Fruchtfolge gesund erhalten!

Fazit:

Für den wirtschaftlichen Anbau von Nahrungs- und Futterpflanzen sind moderne Pflanzenschutzmittel genauso unverzichtbar wie pharmakologische Präparate in der Medizin. Durch weitere Verschärfungen in Form der unrealistischen Bewertung auf der Basis des „Null-Risiko-Prinzips“ wird eine massive Wirkstofferosion dazu führen, dass Hilfsmittel zur Sicherung der Ernten verloren gehen. Sollten sich die politischen Vorgaben nicht ändern, wird man sich auf erhebliche Rückgänge der Erntemengen und Qualitäten einstellen müssen, insbesondere bei Getreide, Kartoffeln und vielen Sonderkulturen. Die daraus resultierenden Preissteigerungen könnten dann den Verbrauchern vielleicht deutlich machen, dass prall gefüllte Supermarktregale mit kostengünstigen Lebensmitteln nicht selbstverständlich sind!

 

 

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