"Highspeed" für die Restschuldbefreiung – Neuerungen der Insolvenzordnung zum 1.7.2014

"Highspeed" für die Restschuldbefreiung – Neuerungen der Insolvenzordnung zum 1.7.2014

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Kolumne zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Insolvenzordnung – Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahren und Stärkung der Gläubigerrechte
Die Kritik am Insolvenzrecht ist so alt wie die Insolvenzordnung und ist seit dessen erster Einführung im Jahr 1999 nie abgerissen.
„Zu kompliziert“ meinen die Einen und verweisen hier auf Begriffe wie „Schuldenbereinigungsplanverfahren“, „Restschuldbefreiungsverfahren“ u.v.a. – „zu teuer“ meinen andere vor allem im Hinblick darauf, dass bei einem Großteil der Verbraucherinsolvenzverfahren nicht einmal die Verfahrenskosten durch den Schuldner bezahlt werden können.
„Zu lange“ rufen Schuldner und Verbraucherverbände gleichermaßen in Ansehung der Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens.
All dies soll durch den jüngsten Gesetzesentwurf geheilt werden, dessen Inkrafttreten zum 1. Juli 2014 vorgesehen ist.
I.
Betrachten wir zunächst die Restschuldbefreiung und die damit verbundenen Themenkreis: Die im deutschen Insolvenzrecht verankerte 6-jährige Wohlverhaltensphase wird im europäischen und internationalen Vergleich als viel zu lange gerügt. Ein gewisser „Insolvenztourismus“ einzelner Schuldner, mit dem Ziel den Genuss kürzerer Fristen zu erlangen, lässt sich nicht leugnen.
Der Widerstreit zwischen Schuldner und Gläubiger tritt hier deutlich zu Tage. Volkswirtschaftlich ist schon nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber von der 30-jährigen Verjährung von Schuldtitel abrückt und dem redlichen Schuldner eine Rückkehr in geordnete finanzielle Verhältnisse schaffen möchte – zu hoch ist die Zahl der hoffnungslos überschuldeten Personen.
Die Gläubiger, insbesondere die Kreditinstitute sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nur einen eingeschränkten Schutz ihrer Ansprüche genießen – im Moment noch sechs Jahre, sofern der Schuldner seine in der InsO definierten Obliegenheiten erfüllt. Den damit verbundenen Schaden bei den Gläubigern, den zumindest bei den Kreditinstituten zu einem erheblichen Teil die Allgemeinheit über die reduzierten Ertragssteuern und eine „Umlage“ in Form einkalkulierter Aufschläge bei den Finanzierungszinsen mit bezahlt, nimmt der Gesetzgeber in Kauf.
Nun soll in der geplanten Gesetzesnovelle die Beschleunigung der Restschuldbefreiung geregelt werden die unter der Auflage verschiedener Bedingungen die Restschuldbefreiung nach einer 3-jährigen Wohlverhaltensfrist regelt. Für Schuldner, welche diese Bedingungen nicht erfüllen, ändert sich faktisch nichts.
Die Absicht des Gesetzgebers, dem redlichen Schuldner weiter entgegenzukommen, mag einen hohen moralischen und auch einen bedeutsamen volkswirtschaftlichen Anspruch haben.
Ob die 3-jährige Frist auch der Praxis gerecht wird, darf diskutiert werden:
Die 3-jährige Frist und damit ein überschaubarer Zeitraum für die Chance auf einen finanziellen Neuanfang ist selbstverständlich ein zentraler Anreiz für den Schuldner, die Bedingungen zu erfüllen.
Die erste Bedingung ist gemäß dem Gesetzentwurf die Bezahlung der Kosten des Insolvenzverfahrens. Beim vereinfachten Verbraucherinsolvenzverfahren erscheinen diese Kosten überschaubar; bei deinem Regelinsolvenzverfahren, welches z. B. bei Insolvenz einer gewerblich tätigen Einzelfirma mit allen damit verbundenen Themen wie z.B. Absonderungs- / Anfechtungsrechte, übertragender Sanierung, Berücksichtigung von Arbeitnehmeransprüchen u.v.m., zur Anwendung kommen kann, sind diese Kosten zumindest anfangs nicht überschaubar.
Die weitere Bedingung, wonach die Forderungen der Insolvenzgläubiger nach Ablauf von drei Jahren mit mindestens 35 % befriedigt sein müssen, wird sich vorrangig wohl meist nur in einem Verbraucherinsolvenzverfahren anwenden lassen. Bei Regelinsolvenzverfahren, insbesondere wenn diese gewerblich geprägt sind, werden nach drei Jahren weder alle Absonderungsrechte noch alle Anfechtungsansprüche geklärt sein.
Die Verwertung der Insolvenzmasse, insbesondere wenn es sich um die Verwertung von Immobilien handelt, wird diesen Zeitraum regelmäßig überschreiten. Der Insolvenzschuldner hat auf die Verwertung und den Verwertungserlös kaum einen Einfluss – die nach Verrechnung eines Verwertungserlöses verbleibende Restschuld wird zumindest nach dem derzeit vorliegenden Gesetzentwurf die Berechnungsgrundlage für die 35 %ige Befriedigungsquote der Insolvenzgläubiger sein. Der Gesetzgeber lässt insbesondere die Insolvenzmasse unberücksichtigt, die bei einem unbeschränkt persönlich haftenden Insolvenzschuldner neben dem Firmenvermögen auch aus seinem gesamten Vermögen besteht.
Bei Regelinsolvenzverfahren wird die Zahl derjenigen Schuldner, die nach Verwertung ihres gesamten Vermögens, einschließlich der gesamten Firmenaktiva, der Geschäfts- und Privatimmobilie und auch der Altersversorgung, kaum Aussicht bestehen, aus dem Einkommen der nächsten drei Jahre nach Verfahrenseröffnung die Gläubiger mit der gesetzesseitigen Quote von 35 % zu befriedigen.
Hier wird die Redlichkeit des Schuldners, der vielleicht sogar die bestmögliche Verwertung unterstützt, um den Schaden für die Gläubiger zu verringern, schichtweg der absoluten Höhe der angemeldeten Insolvenzforderungen unterliegen.
Bei Verbraucherinsolvenzverfahren wird die geforderte 35 %ige Befriedigungsquote schon deshalb in einer Reihe von Fällen erreichbar, weil die Gesamtsumme der angemeldeten Insolvenzforderungen für den Schuldner zwar zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung jenseits seiner finanziellen Möglichkeiten sind, aber in der absoluten Höhe zumindest mit einem 35 %igen Anteil innerhalb der 3-Jahres-Frist seit der Verfahrenseröffnung befriedigt werden können. Neben der Einkommenslage des Insolvenzschuldners wird hier auch die Unterstützung von Dritten ein wichtiger Aspekt sein.
Bei Verbraucherinsolvenzverfahren wird mit Einführung der Möglichkeit einer 3-jährigen Restschuldbefreiung der „Insolvenztourismus“ ins Ausland sicherlich beendet werden. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die Zahl derjenigen Schuldner, die wiederholt diese Möglichkeit nutzen wollen und werden, deutlich zunehmen wird.
Nicht jeder Gläubiger wird wissen, dass sein Schuldner bereits einmal eine Restschuldbefreiung erhalten hat – die Mobilität dieser Schuldnergruppe, der offensichtliche Trend, dass die Gruppe der jüngeren Insolvenzschuldner zunimmt, und die vom Grundsatz her zweifelsohne sinnvollen Datenschutzbestimmungen, welche auch die Löschung von Negativeintragungen umfassen, wirken hier grundsätzlich zu Lasten der Gläubiger.
Der Gesetzgeber hat in der Novelle ausdrücklich keine Regelungen mit aufgenommen, welche die wiederholte Anwendung einer 3-jährigen Restschuldbefreiung ganz verbietet. Volkswirtschaftlich kann dies nur als ein Manko betrachtet werden.
II.
Ein weiterer zentraler Aspekt der Reform ist das Lohnabtretungsprivileg gemäß § 114 InsO Auch hier sind der Widerstreit zwischen Gläubiger und Schuldner offensichtlich – und der Gesetzgeber kann selbst bei unterstellten besten Absichten und unter Aufbietung aller Kräfte nicht in der Lage sein, diesen Widerstreit im Sinne aller Beteiligten zu entscheiden. Ein vergleichbares Beispiel bietet hier das Mietrecht dessen Rechtsentwicklung der Satiriker Werner Koczwara * wie folgt beschreibt:
Auch hier versucht der Gesetzgeber seit Jahrzehnten, zwei komplett unterschiedliche Sichtweisen erfolglos in eine gerichtsfeste Form zu gießen. Aus der Sicht des Mieters ist der Vermieter „ein geldgeiler Sack“. Aus Sicht des Vermieters ist der Mieter „Gesindel, das wie Wohnung verlumpt“.
Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Mieter und Vermieter sind völlig unterschiedliche Lebensformen, die nur eines gemeinsam haben, nämlich dass sie sich nicht über den Weg trauen. Hier gesetzgeberisch für Entspannung zu sorgen gleicht dem Versuch, das Verhältnis zwischen Hund und Katze regeln zu wollen.
Das Gegenteil wurde erreicht: Der Gesetzgeber hat viel zur Eskalation beigetragen.
Beim Lohnabtretungsprivileg ist die Ausgangslage ähnlich – und die Interessen zwischen Insolvenzschuldner und Gläubiger sind so unterschiedlich wie sie nur sein können. Der Gläubiger, insbesondere ein Kreditinstitut, hat seine Kreditentscheidung im Wesentlichen auf die Einkommenslage des Kreditnehmers aufgebaut und dies durch Abtretung der Bezüge gesichert.
Der Schuldner wendet ein, dass durch diese Privilegierung der Lohnabtretung die Chancen für eine außergerichtliche Schuldenbereinigung deutlich geschmälter werden – kein Abtretungsgläubiger wird einer solchen Einigung zustimmen, wenn damit ein voller oder teilweiser Verzicht auf seine Privileg verbunden ist. Die ungesicherten Gläubiger stehen einer Schuldenbereinigung ablehnend gegenüber, wenn ein solcher Plan vorsieht, dass sie erst im dritten Jahr – nach Ablauf der Privilegierung – auf Gelder aus dem Einkommen des Schuldners zugreifen können.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Vereinbarungen des Schuldners insoweit unwirksam sind, als sie die Abtretung der Bezüge an einen gerichtlich bestimmten Treuhänder vereiteln oder beeinträchtigen.
Das heißt im Klartext die ersatzlose Streichung des Lohnabtretungsprivilegs. Nun mag man einwenden können, dass Kreditinstitute aus der Sicht des Gesetzgebers bei der Kreditvergabe strengere Kriterien anlegen und nicht auf das Lohnabtretungsprivileg als Kreditsicherheit abstellen sollen – praktisch wird mit der Streichung nur eine Umverteilung des pfändbaren Einkommens zwischen den Insolvenzgläubigern vorgenommen und seitens des Gesetzgebers mit der Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger im Sinne einer einheitlichen Quote begründet.
III. Außergerichtlicher Einigungsversuches anstelle Schuldenbereinigungsplanverfahren
Die bisherigen Regelungen der Insolvenzordnung sehen die Durchführung eines Schuldenbereinigungsplanverfahrens vor. In der Praxis hat sich dieses gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren jedoch kaum durchgesetzt. Zu hoch sind Kosten-, Zeit- und gerichtlicher Arbeitsaufwand.
Nun ist die Durchführung eines außergerichtlichen Einigungsversuches über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Planes vorgesehen. Die Einigung gilt als gescheitert, wenn einer der Gläubiger dem Schuldenbereinigungsplan widerspricht. Die Durchführung eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens – mit Zustimmungsersatz für einzelne Gläubiger durch Gerichtsentscheid – findet sich in der Gesetzesnovelle nicht mehr.
IV Änderung weiterer Bestimmungen (Auszug)
Bei überschaubaren Vermögensverhältnissen und einer geringen Zahl der Gläubiger kann das Insolvenzverfahren schriftlich durchgeführt werden. Das Gericht kann in diesen Fällen auch auf einen formellen Berichtstermin verzichten, was höchst vernünftig und sachdienlich ist.
Ein erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung ist unzulässig, wenn in den letzten zehn Jahren Restschuldbefreiung erteilt oder in den letzten fünf Jahren Restschuldbefreiung versagt worden ist.
Die Rechte der Gläubiger zu einem solchen Antrag auf Restschuldbefreiung werden grundsätzlich gestärkt. Insbesondere wird hervorgehoben, dass die Restschuldbefreiung dann versagt werden kann, wenn der Schuldner seine Erwerbsobliegenheitspflichten verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt. Auch die Möglichkeiten für einen nachträglichen Widerruf der Restschuldbefreiung sind gestärkt
Auch eine Änderung des Genossenschaftsgesetzes ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert:
Ist der Insolvenzschuldner deshalb Mitglied einer Wohnungsbaugenossenschaft, weil die die Voraussetzung für die Nutzung einer Genossenschaftswohnung ist, soll die Verwertung dieses Genossenschaftsanteils ausgeschlossen sein, sofern das Nutzungsverhältnis mit einem Mietverhältnis vergleichbar ist.
Diese Neuregelung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb der Schuldner durch Verwertung des Genossenschaftsanteils seine Wohnung verlieren soll und dadurch schlechter gestellt wird als im Falle eines Mietverhältnisses.
Quellenangabe:
* = Werner Koczwara, „Am achten Tag schuf Gott den Rechtsanwalt“, 4. Auflage 2010 erschienen im Verlag Kunstmann GmbH, München, ISBN 978-3-88897-651-3