4. August 2021

Die Hochwasserkatastrophe und arbeitsrechtliche Folgen daraus

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Nach dem Starkregen im Juli kämpfen viele Menschen in den betroffenen Hochwassergebieten mit den Folgen der Katastrophe. Wenn Hochwasser oder Überschwemmungen die Betriebsstätte oder gar das eigene Zuhause zerstören, geraten anderweitige Verpflichtungen verständlicherweise zunächst in den Hintergrund. Betroffene, aber auch Katastrophenhelfer:innen sowie Menschen, die keine Verkehrsverbindungen mehr haben, können sodann ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mehr erfüllen. Erfahren Sie hier alles über  die Hochwasserkatastrophe und arbeitsrechtliche Folgen daraus.

Hochwasserkatastrophe und arbeitsrechtliche Folgen – Pflichten gelten weiter

Die aus Arbeitnehmer:innensicht wohl wichtigste Frage lautet: Zahlen Arbeitgeber:innen Lohn ohne Arbeit? Und gilt das auch, obwohl Arbeiten möglich gewesen wäre, weil der Betrieb nicht unmittelbar vom Hochwasser betroffen war? Die wichtigste, aber arbeitsvertraglich abdingbare Vorschrift hierzu ist § 616 BGB. Danach behalten Arbeitnehmer:innen den Lohnanspruch, wenn er oder sie aus persönlichen Gründen an der Arbeitsleistung verhindert ist. Hierbei ist unerheblich, ob die Arbeit tatsächlich nicht möglich oder nur unzumutbar ist. Typische Fälle der persönlichen Verhinderung sind etwa Unglücksfälle oder Familienereignisse im privaten Bereich. Der § 616 BGB greift aber dagegen nicht ein, wenn es sich um objektive Hinderungsgründe handelt. Eine Hochwasserkatastrophe, die zeitgleich sehr viele Menschen betrifft, stellt keinen persönlichen, sondern einen objektiven Hinderungsgrund dar. Damit findet § 616 BGB also keine Anwendung.

Die Ausnahme: Auswirkung der Naturkatastrophe auf die körperliche und seelische Verfassung 

Nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll § 616 BGB trotz Vorliegens eines objektiven Hinderungsgrundes ausnahmsweise dennoch Anwendung finden. Das gilt, wenn Arbeitnehmer:innen durch die Naturkatastrophe persönlich derart betroffen sind, dass sich der Unglücksfall auf die körperliche und seelische Verfassung auswirkt. Ist dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin die Arbeitsleistung aus diesem Grund vorübergehend nicht zuzumuten, behält er oder sie für einen angemessenen Zeitraum seinen Lohnanspruch gegenüber dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn Arbeitnehmer:innen evakuiert werden und zunächst ihre privaten Angelegenheiten regeln müssen. Der Zeitraum, für den Arbeitnehmer:innen weiterhin Vergütung erhalten, ist abhängig davon, wie stark er oder sie von der Naturkatastrophe betroffen ist. Regelmäßig dürfte von drei bis zehn Tagen ausgegangen werden. Danach entfällt die Vergütungspflicht für Arbeitgeber:innen.

Wegerisiko trifft Arbeitnehmer:in

Können Beschäftigte ihren Arbeitsplatz aufgrund von Wegehindernissen infolge der Hochwasserkatastrophe nicht erreichen und deshalb ihre Arbeitsleistung nicht erbringen, steht ihnen keine Vergütung zu. Das geschieht beispielsweise bei überschwemmten und gesperrten Straßen, Autobahnen und Brücken, Ausfall von Verbindungen im ÖPNV oder Ähnlichem. Ein Lohnanspruch besteht deshalb nicht, da allein Arbeitnehmer:innen das Wegerisiko tragen.

Ansprüche ehrenamtlicher Helfer:innen

Dasselbe gilt für Arbeitnehmer:innen, die anderen Betroffenen bei den Aufräumarbeiten helfen. Es fehlt die persönliche Betroffenheit, sodass § 616 BGB keine Anwendung findet. Etwas anderes gilt, wenn Arbeitnehmer:innen zum Einsatz bei der Berufs- oder der Freiwilligen Feuerwehr herangezogen werden. Denn für den Feuerwehrdienst sind sie freizustellen. Arbeitgeber:innen sind in diesem Fall zur Fortzahlung des Lohns verpflichtet. Allerdings haben Arbeitgeber:innen nach landesrechtlichen Spezialbestimmungen einen Anspruch gegen die Gemeinde. Dieser Anspruch beinhaltet die Erstattung der gezahlten Arbeitslöhne und der anfallenden Sozialversicherungsbeiträge für die an den zum Einsatz freigestellten Arbeitnehmer:innen. Arbeitnehmer:innen im öffentlichen Dienst, die ehrenamtlich bei der örtlichen Feuerwehr tätig werden, behalten ihren Anspruch auf Leistungen ihres Dienstherrn ebenfalls. Das gilt auch für Arbeitnehmer:innen, die beim Technischen Hilfswerk im Rahmen des Katastrophenschutzes in den Einsatz gehen.

Vergütung bei Schließung des Betriebes

Müssen Arbeitgeber:innen ihre Betriebsstätte schließen, weil diese aufgrund von Hochwasser oder Überschwemmung zerstört oder beschädigt wurde, erhalten Arbeitnehmer:innen grundsätzlich weiterhin ihre Vergütung. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass die Arbeitnehmer:innen grundsätzlich arbeitsfähig wären. So wie Arbeitnehmer:innen das Wegerisiko trifft, tragen Arbeitgeber:innen das Risiko für Betriebsstörungen.

Leistung von Nothilfe im Unternehmen

Arbeitgeber:innen können Arbeitnehmer:innen allerdings ausnahmsweise anderweitige Tätigkeiten zuweisen um drohende Schäden an der Betriebsstätte abzuwehren. Das folgt in derartigen Extremsituationen aus der Treuepflicht nach § 242 BGB. Danach müssen Arbeitnehmer:innen damit rechnen, zur Abwendung akuter Gefahren für den Betrieb herangezogen zu werden. In jedem Fall sollten Arbeitgeber:innen den Betriebsrat über die geplante Leistung von Nothilfe durch die Arbeitnehmer:innen unterrichten, falls es einen Betriebsrat gibt.

Einführung von Kurzarbeit

Ist der Betrieb aufgrund des Hochwassers nicht oder nur eingeschränkt möglich, können Arbeitgeber:innen in Kurzarbeit gehen. Das ist möglich, soweit die Arbeitnehmer:innen nicht in gewohntem Maße beschäftigt werden können. Hierfür ist keine unmittelbare Betroffenheit von den Flutschäden erforderlich. Es reicht bereits aus, dass bestellte Ware nicht geliefert werden oder Arbeitgeber:innen diese nicht annehmen können. Arbeitnehmer:innen haben sodann Anspruch auf Kurzarbeitergeld (KUG) nach den §§ 95ff. SGB III. Im Sinne dieser Vorschrift stellt das Hochwasser ein „unabwendbares Ereignis” dar, auf dem der Arbeitsausfall beruht. Das Kurzarbeitergeld soll vorübergehenden Arbeitsausfall kompensieren. Im Zuge der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber den Umfang des KUG ausgeweitet.

Arbeitnehmer:innen haben Anspruch auf KUG, sofern ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt, welcher der Agentur für Arbeit angezeigt wurde. Im Vergleich zum konjunkturell bedingten Arbeitsausfall gibt es bei Kurzarbeit wegen einer Krisensituation wie dem aktuellen Hochwasser einige Erleichterungen. Der Bezug von Kurzarbeitergeld setzt in diesem Fall nicht voraus, dass zuvor Urlaubstage aufgebraucht und Zeitkonten ausgeglichen werden. Arbeitnehmer:innen gefährden ihren Anspruch auf Kurzarbeitergeld auch nicht dadurch, dass sie Sicherungs- oder Aufräumarbeiten im Betrieb verrichten.

Steuerliche Vergünstigungen

Für Zuwendungen von Arbeitgeber:innen an Arbeitnehmer:innen, die von Flutschäden betroffenen sind, entfallen die üblichen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit. Da bei dem Hochwasser von einem Notfall auszugehen ist, sind solche Unterstützungen auch über den sonst üblichen Höchstbetrag von 600 Euro steuerfrei. Im Lohnkonto ist die steuerfreie Zuwendung zu dokumentieren. Außerdem auch der Hinweis darauf, dass die Zuwendungen wegen flutbedingten Schäden der Arbeitnehmer:innen erfolgt.

Solidarisch können Arbeitnehmer:innen auch auf einen Teil ihrer Vergütung verzichten, damit Arbeitgeber:innen diesen Betrag an hochwassergeschädigte Kolleg:innen oder zu Gunsten eines Spendenkontos leistet. Durch solche Arbeitslohnspenden kann sich der steuerpflichtige Arbeitslohn mindern. Hierzu haben wir gesondert berichtet in unserem Blogbeitrag vom 27. Juli 2021.

Unsere Einschätzung 

Beschäftigte sollten Arbeitgeber:innen umgehend mitteilen, ob sie durch eine Umweltkatastrophe an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung gehindert sind. Wenn möglich auch, für wie lange dies voraussichtlich der Fall sein wird.
Im Interesse aller Betroffenen empfehlen wir individuelle Lösungen wie die Vereinbarung von unbezahltem Sonderurlaub, bezahlte Freistellungen oder das Einrichten eines Home-Office Arbeitsplatzes. Benötigen Unternehmen Hilfe bei der Beseitigung von Schäden im Betrieb, kann die sogenannte „Nothilfe“ angeordnet werden. Arbeitnehmer:innen sind dann verpflichtet, unter Beibehaltung ihres Vergütungsanspruchs bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Um derartige Situationen zu vermeiden, sollten Arbeitgeber:innen ihren Betrieb gegen Elementarschäden versichern. Betroffenen Unternehmen empfehlen wir, Kurzarbeit einzuführen und Kurzarbeitergeld zu beantragen.

Haben Sie Fragen zum Thema? Dann kommen Sie jederzeit gerne auf uns zu!

 

Johannes Dähnert

CSO, CCO, CHRO, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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