Bundesverfassungsgericht: Regelungen zur Hofabgabepflicht als Voraussetzung eines Rentenanspruchs für Landwirte verfassungswidrig

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In der Pressemitteilung vom 09.08.2018 hat das Bundesverfassungsgericht (BverfG) seinen Beschluss vom 23.05.2018 zu zwei Verfahren bekannt gegeben. In den Leitsätzen kommt das BVerfG zu der Entscheidung, dass die Koppelung einer Altersrente an die Abgabe eines landwirtschaftlichen Hofs faktisch in die Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG eingreift, dass die Pflicht zur Hofabgabe verfassungswidrig wird, wenn diese in unzumutbarer Weise Einkünfte entzieht, die zur Ergänzung einer als Teilsicherung ausgestalteten Rente notwendig sind, sowie dass die Gewährung einer Rente an den einen Ehepartner nicht von der Entscheidung des anderen Ehepartners über die Abgabe des Hofs abhängig gemacht werden darf.

1. Die Pflicht zur Hofabgabe als Voraussetzung eines Rentenanspruchs nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte erweist sich als Eingriff in die grundrechtlich geschützte Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG. Dieser Eingriff ist nur nach den sich aus den weiteren Entscheidungsgründen ergebenden Maßnahmen gerechtfertigt.
Durch die Koppelung des Rentenanspruchs an die Abgabe des Unternehmens nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG besteht kein Eingriff in durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rentenanwartschaften oder Rentenansprüche, sondern in das Sacheigentum des Landwirts.
Durch die Hofabgabeklausel wird auf den Landwirt ein mittelbarer faktischer Druck zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens erzeugt. Der Landwirt kann sich zwar nach wie vor frei entscheiden, ob er das landwirtschaftliche Unternehmen abgibt oder weiterführt, aber nur im Falle der Abgabe erhält er eine Rente. Bei der Nichtabgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens erhält er für seine bisherige Beitragsleistung in die Alterssicherung für Landwirte keine Gegenleistung. Die geleisteten Beiträge, zu denen er als Landwirt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 ALG versicherungs- und beitragspflichtig ist, gehen vollständig verloren.
Eine Hofabgabe als Voraussetzung eines Rentenanspruchs nach dem ALG entspricht jedoch nur mit folgenden Maßgaben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip:

a) Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzips muss der Eingriff zur Erreichung eines legitimen Eingriffsziels geeignet sein und darf nicht weiter gehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern. Ferner müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen.

b) Der Gesetzgeber verfolgt mit der Hofabgabeklausel mehrere legitime agrarstrukturelle Ziele:

aa) Ein Ziel ist die Förderung der frühzeitigen Hofübergabe an Jüngere. Die Hofabgabeklausel will einen Beitrag zur Übergabe von landwirtschaftlichen Unternehmen zu einem wirtschaftlichen sinnvollen Zeitpunkt an jüngere Kräfte erreichen.

bb) Die Hofabgabeverpflichtung hat eine wichtige Funktion für den Bodenmarkt. Danach sei die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Flächen deutlich höher als die Anzahl der infolge der Hofabgabeklausel frei werdenden Flächen.

cc) Darüber hinaus verfolgt die Hofabgabeklausel das Ziel der Verbesserung der Betriebsstruktur durch die Schaffung größerer Entwicklungschancen für Wachstumsbetriebe.

c) Das BverfG kommt zum Schluss, dass alle drei Ziele legitim sind. Zur Erreichung dieser Ziele ist die Hofabgabeklausel nicht von vornherein untauglich.

aa) Zwar hat § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG die Hofabgabe lediglich als Voraussetzung eines Rentenanspruchs normiert. Eine Pflicht zur Hofabgabe besteht nicht.

bb) Das ALG fördert unmittelbar nur die Abgabe und nicht die nach dem Gesetzeszweck eigentlich angestrebte Übergabe des landwirtschaftlichen Unternehmens als Voraussetzung eines Anspruchs auf Regelaltersrente. So ist nach § 21 ALG ein Unternehmen der Landwirtschaft auch dann abgegeben, wenn die landwirtschaftlich genutzten Flächen mindestens neun Jahre verpachtet oder stillgelegt sind.

Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass die Hofabgabeklausel erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist erst dann zu verneinen, wenn ein sachlich gleichwertiges, zweifelsfrei gleich wirksames, die Grundrechtsberechtigten weniger beeinträchtigendes Mittel zur Verfügung steht, um den verfolgten Zweck zu erreichen.

d) Die Verpflichtung zur Hofabgabe ist jedoch nicht in allen Fällen zumutbar. 

aa) Das Hofabgabeerfordernis führt bei einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Landwirten und in fast der Hälfte auch bei deren Ehegatten dazu, dass keine Rente nach dem ALG bezogen wird. Die Hofabgabepflicht erzeugt einen mittelbaren faktischen Zwang zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens, der in das durch Art. 14. Abs.1 S. 1 GG geschützte Sacheigentum der Landwirte eingreift. Im Ergebnis verliert der Landwirt bei Nichtabgabe völlig seine Rente oder seinen Hof, obwohl er beide in der Regel zur Alterssicherung benötigt.

bb) Das Erfordernis der Hofabgabe wahrt in folgenden Konstellationen nicht mehr die Grenze der Zumutbarkeit, weil das ALG keine Härtefallregelung für die Hofabgabe vorsieht. Härtefälle entstehen vornehmlich, weil kein Nachfolger zur Hofübernahme bereit steht, aber auch dann wenn das landwirtschaftliche Unternehmen zwar abgegeben werden könnte, dies jedoch nicht zu Einkünften des Landwirts führen würde, mit Hilfe derer er seinen Lebensunterhalt in Ergänzung der Rente sicherstellen kann.

2. In dem weiteren Verfahren galt die Ehegattin eines Landwirts selbst als Landwirtin nach § 1 Abs. 3 S. 1 ALG. Ihr dadurch begründeter eigener Rentenanspruch ist nach § 21 Abs. 9 S. 4 ALG davon abhängig, dass ihr Ehegatte seinerseits den Hof abgibt, sobald er selbst die Voraussetzungen für eine Rente erfüllt.
Die Abhängigkeit des Rentenanspruchs von der Hofabgabe durch den anderen Ehegatten verletzt Art. 6 Abs. 1 iVm Art. 3 Abs. 2 GG. 
§ 21 Abs. 9 S. 4 ALG verlässt die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Bestimmung der wirtschaftlichen Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung beider Ehepartner und gibt sie in die einseitige Bestimmungsgewalt eines Ehepartners. Eine besondere verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die hier bewirkte Abhängigkeit von der Entscheidung des Ehegatten über die Abgabe des Hofes ist nicht ersichtlich.
Fazit:
Landwirte, die ihr landwirtschaftliches Unternehmen trotz Erfüllen der Rentenvoraussetzungen weiterführen, und die Ehegatten, deren Ehepartner das landwirtschaftliche Unternehmern nicht abgeben haben, werden durch die Hofabgabeklausel benachteiligt.
In beiden Konstellationen sollen Betroffene umgehend Rentenanträge stellen.

Rechtsanwältin in Landshut, Adelheid Holme
Adelheid Holme
Rechtsanwältin in Landshut
Sozialversicherungsrecht
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