Virtuelle Sprechstunde: Digitaler Arzt-Patienten-Kontakt mit großem Potenzial
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Virtuelle Sprechstunde: Digitaler Arzt-Patienten-Kontakt mit großem Potenzial

7 min.

Videosprechstunden ergänzen sinnvoll den Kontakt zwischen Patienten und Ärzten. Wie lässt sich die virtuelle Behandlung abrechnen? Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Welche Chancen ergeben sich für die Praxis? Welche Perspektiven hat die Telemedizin überhaupt?

Patientinnen, Patienten und Ärzteschaft nutzen mehr und mehr Videosprechstunden. Sie sind eine sinnvolle Ergänzung zum direkten und persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt. Die virtuelle Sprechstunde kann aber noch mehr leisten. „Ein weiterer Ausbau bei Konsilien, also wenn sich mehrere Ärztinnen und Ärzte beraten, aber auch in der Zusammenarbeit beispielsweise von Ärzten und Pflegenden ist denkbar und sinnvoll“, meint Larissa von Paulgerg, Datenschutzbeauftragte bei Ecovis in München.

Bis zum Beginn der Corona-Pandemie 2020 fristete die Videosprechstunde in Deutschland ein Nischendasein. Hohe bürokratische Hürden und eine Deckelung der Abrechenbarkeit könnten Gründe dafür sein, dass laut Bitkom Research im Jahr 2019 nur fünf Prozent der Arzt-Patienten-Kontakte über Video stattfanden. Die Pandemie hat nun einen Trend forciert, dem ohnehin die Zukunft gehört. Nach einer aktuellen Studie der Stiftung Gesundheit haben allein im zweiten Quartal 2020, also unmittelbar nach Inkrafttreten des ersten Lockdowns, 1,2 Millionen Arzt-Patienten- Kontakte per Video stattgefunden.

Mehr als die Hälfte aller befragten Ärzte bieten inzwischen Videosprechstunden an und möchten diese auch weiterhin durchführen. Gründe für den raschen Anstieg: Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) machten es den Praxen in der Pandemie leichter, kurzfristig auf Videosprechstunden umzustellen. Das Genehmigungsverfahren wurde vereinfacht und die 20-Prozent-Deckelung bei der Abrechnung fiel – zumindest (bisher) befristet. Zudem dürfen Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen auch Krankschreibungen per Videosprechstunde ausstellen.

Technische Voraussetzungen

Die in der Praxis vorhandene Technik muss eine angemessene Kommunikation sicherstellen. Die technische Ausstattung muss folgende Komponenten umfassen:

  • einen Bildschirm (Monitor oder Display mit einer Bildschirmdiagonalen von mindestens drei Zoll und einer Auflösung von mindestens 640 x 480 Pixeln (px)
  • eine Kamera
  • ein Mikrofon
  • einen Lautsprecher oder ein Tonwiedergabegerät
  • einen Internetzugang mit einer Bandbreite von mindestens 2.000 kbit/s im Download

Datenschutzstandards einhalten

Vertragsärztinnen und -ärzte müssen sich für einen zertifizierten Videodienstanbieter entscheiden. Dieser muss zudem gewährleisten, dass Ärzte die Online-Sprechstunde technisch realisieren und sicher durchführen können. Wichtig ist, dass der Videodienstanbieter bestimmte Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards erfüllt, damit die Kommunikation gegenüber Dritten geschützt ist. Das muss gegeben sein, denn Ärzte müssen beim GKV-Spitzenverband und der Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen, dass sie die Standards einhalten. Diese bieten daher ein Verzeichnis der zertifizierten Videodienstanbieter an. „Frei verfügbare Videodienstanbieter wie Zoom dürfen Heilberufler nicht verwenden. Sensible Gesundheitsdaten brauchen eine verschlüsselte Peer-to-Peer-Verbindung“, weiß von Paulgerg.

Um Medizinern die Abwicklung von Patientenkontakten online über die Videosprechstunde kurzfristig zu ermöglichen, wurde im Zuge der Pandemie das bisherige Genehmigungsverfahren auf ein vereinfachtes Anzeigeverfahren für die Durchführung der Videosprechstunde umgestellt. „Ob diese Regelung über die Pandemie hinaus Bestand haben wird, ist noch nicht endgültig geklärt“, sagt von Paulgerg.

Was Ärzte vor dem Start der Online-Sprechstunde tun müssen

Vor dem ersten Gespräch muss der Behandler die Einwilligung der Patienten zur Videosprechstunde einholen. Das geht mündlich unmittelbar gegenüber dem Arzt oder schriftlich etwa per E-Mail. Die Praxis muss so ausgestattet sein, dass ein reibungsloser Ablauf der virtuellen Behandlung möglich ist. Dazu gehören:

  • Durchführung in einem geschlossenen, separaten Raum am Praxissitz (Wahrung der Privatsphäre)
  • garantierte Vertraulichkeit
  • Unterbrechungs- und Störungsfreiheit
  • Name des Patienten muss ersichtlich sein
  • Werbung in virtuellen Sprechstunden ist nicht erlaubt
  • eine Aufzeichnung des Gesprächs ist nicht gestattet

Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht beachten

Anders als in den eigenen Praxisräumen können sich Ärztinnen und Ärzte bei der virtuellen Behandlung nur auf das verlassen, was sie hören und sehen. Deshalb sind einige Dinge mit den Patienten vor dem Start der Videosprechstunde zu klären:

  • Persönlich bekannte Patienten müssen Sie danach fragen, ob sich persönliche Daten geändert haben, etwa der Versichertenstatus.
  • Bisher unbekannte Behandlungsbedürftige müssen Ihnen ihre Identität mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) im Videogespräch belegen.
  • Für die Abrechnung benötigen Sie den Namen der Krankenkasse, Vor- und Zuname des Versicherten, Geburtsdatum, Versichertenart, Postleitzahl und Krankenversicherungsnummer.
  • Sie müssen die Einwilligung des Patienten zur Videosprechstunde einholen.
  • Der Patient muss Ihnen erklären, dass ihm alle aktuell vorhandenen Befunde vorliegen.
  • Der Patient muss Ihnen erklären, dass er Sie vollständig über seinen Gesundheitszustand informiert hat
  • Lassen Sie sich von Ihrem Patienten versichern, dass er seine Fragen mit Ihnen umfänglich klären konnte.
  • Lassen Sie sich von Ihrem Patienten versichern, dass er weiß, dass er jederzeit die Praxis aufsuchen könnte.

Absicherung gegen Schäden aus technischen Probleme

Bei der Nutzung moderner Kommunikationstechnik entstehen täglich neue Risiken. Sie betreffen die Datensicherheit bei der Übertragung und den Schutz persönlicher Patientendaten. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die Anforderungen der Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) in einer IT-Sicherheitsrichtlinie für die Medizin konkretisiert. Darin sind Mindestanforderungen an die Arztpraxen geregelt, die derzeit verpflichtend umzusetzen sind. Praxisinhaber bekommen so einen klaren Maßstab für ihre Software- und Computersicherheit.

Die Anforderungen der IT-Sicherheitsrichtlinie sind umzusetzen, bevor Ärzte überhaupt digitale Anwendungen nutzen können. „Praxisinhaber sind verantwortlich für den Schutz von Daten und Technik. Sie haften gegenüber ihren Patienten für den Schaden, der aus einer mangelhaften Umsetzung der IT-Sicherheitsrichtlinie entsteht“, sagt von Paulgerg.

Wo die Entwicklung hingeht

Bereits aktive Anwendungsfelder neben Videosprechstunden sind Telekonsilien. Ein weiteres Anwendungsfeld mit enormem Ausbaupotenzial ist der digitale Dialog zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen auf Videobasis. Besonders in der Pflege sind neue telemedizinische Anwendungen denkbar. Plattformlösungen und technologisch-medizinische Partnerschaften lassen sich stärker ausbauen und somit für eine intensivere medizinische Unterstützung der Pflegenden und eine bessere ärztliche Versorgung der Pflegebedürftigen sorgen. Derzeit begrenzt in Deutschland die mangelhafte digitale Infrastruktur die Leistungsfähigkeit der Telemedizin. „Diesen Widrigkeiten zum Trotz wird sich die digitale Gesundheitsversorgung in den nächsten Jahren verbessern“, sagt Datenschutz-Expertin von Paulgerg.

Die zertifizierten Videodienstanbieter auf einen Blick

Sie wollen eine Videosprechstunde einrichten und suchen einen zertifizierten Dienstleister? Hier finden Sie die aktuelle Anbieterliste der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: https://www.kbv.de/media/sp/liste_zertifizierte-Videodienstanbieter.pdf

Virtuelle Sprechstunde: Was Sie die Videosprechstunde kostet und was Sie abrechnen können

Die technische Ausstattung und die laufenden Kosten der Softwareanbieter müssen Sie seit diesem Jahr selbst bezahlen. Neben den normalen Grund-, Versicherten- und Konsiliarpauschalen sind weitere Zuschläge abrechenbar.

  • GOP 01444 Zuschlag für die Authentifizierung eines unbekannten Patienten (10 Punkte): nur einmal im Behandlungsfall berechnungsfähig. Als unbekannt gelten Patienten, die Sie im laufenden Quartal oder Vorquartal nicht in der Praxis behandelt haben. Dieser Zuschlag ist bis 31. Dezember 2022 befristet.
  • GOP 01450 Technikzuschlag (40 Punkte): Dieser Zuschlag ist auf maximal 1.899 Punkte gedeckelt.
  • Sucht ein Patient in einem Quartal ausschließlich Videosprechstunden auf, ist die Abrechnung mit der Pseudo-GOP 88220 zu kennzeichnen.

Darüber hinaus sind eine Reihe von Abrechnungsziffern für psychotherapeutische Behandlungen sowie für Videofallkonferenzen und Videofallbesprechungen (Arzt/Pflege, Palliativkonferenzen) abrechnungsfähig. Die Liste der Kassenärztlichen Bundesvereinigung finden Sie hier: https://www.kbv.de/media/sp/Videosprechstunde__uebersicht_Verguetung.pdf

Was die IT-Sicherheitsrichtlinie für Ihre Praxis bedeutet

Sie wollen sich nochmals über die IT-Sicherheitsrichtlinie für Arztpraxen informieren? Erfahren Sie mehr dazu im Beitrag aus ECOVIS med 4/2021: https://www.ecovis.com/medizin/it-sicherheitsrichtlinie-diese-standards-muss-ihre-praxis-it-erfuellen/

Larissa von Paulgerg, Datenschutzbeauftragte bei Ecovis in München

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