Im Gespräch mit Dr. med. Helmut Juenk

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München – Seit mehr als zwei Jahren arbeitet der im Rheinland niedergelassene Facharzt auch für das in London ansässige Online-Medizin-Start-up DrEd. Der Allgemeinmediziner berät dabei vorwiegend auf den Gebieten der Inneren Medizin und der Reisemedizin.

Dr. Juenck, wie lange sind Sie schon für DrEd tätig?
Mein Interesse an der Tele- und Onlinemedizin sowie der Digitalisierung im ärztlichen Bereich wurde schon frühzeitig durch Veröffentlichungen in den Medien geweckt. Seit Anfang 2014 arbeite ich nun jeweils mehrere Wochen im Jahr für DrEd in London, einem jungen, erfolgreichen Start-up-Unternehmen, das 2010 gegründet wurde, 2011 online ging und seither telemedizinische Leistungen anbietet.
Was treibt Sie als bereits in Deutschland erfolgreich niedergelassener Arzt an, regelmäßig nach London zu fliegen?
Die vielen Innovationen in diesem Bereich, wie die Entwicklung leistungsfähiger Handys zur Übermittlung hochauflösender Fotos für die Fotodiagnose oder Softwareentwicklung für sichere Online-Patientenakten, finde ich ausgesprochen interessant. Zudem begeistert mich die Zusammenarbeit mit einem jungen erfolgshungrigen Team. Diese Form des Patientenkontakts ist spannend und stellt ergänzend zu meiner Arbeit als niedergelassener Hausarzt eine abwechslungsreiche Herausforderung dar.
Welche Fachrichtungen sind derzeit bei DrEd tätig?
Die deutschen Ärzte sind in der Regel Fachärzte für Allgemeinmedizin oder für Innere Medizin. Aufgrund der hohen Qualitätsansprüche des Unternehmens werden vor wiegend Ärzte eingesetzt, die eine eigene Praxis unterhalten oder über langjährige klinische Erfahrung verfügen. Damit ist gewährleistet, dass sie im Umgang mit Patienten bestens vertraut sind und auf deren Bedürfnisse eingehen können. Ein weiteres Qualitätssiegel ist die Doppelapprobation und Zulassung für Deutschland und England.
Was verstehen wir heute unter dem Begriff Telemedizin? Gibt es Grenzen, oder ist das Modell auf jede Facharztgruppe (teil)anwendbar?
Telemedizin ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die über räumliche Entfernungen hinweg erbracht werden. Sie hat sich mit der rasanten Entwicklung des Internets verändert und ist vielschichtiger geworden. Ausweiten lässt sich das Modell theoretisch auf jede Facharztgruppe, abhängig jedoch vom Angebot und Spektrum der zu behandelnden Erkrankungen. Überall dort, wo keine direkte körperliche Untersuchung stattfinden muss, ist die Telemedizin geeignet zu helfen.
Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus der digitalisierten Patientenbetreuung?
Eine lokale bzw. regionale Anbindung an einen Arzt entfällt, denn ganz egal wo sich der Patient befindet, kann er Diagnose und Behandlung schnell und zuverlässig über Smartphone, Tablet, Laptop oder stationäre Computer erhalten. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf Reisen und benötigen dringend ärztliche Hilfe: Bei DrEd sind beispielsweise jeweils zwölf Ärzte an sieben Tagen die Woche in verschiedenen Schichten beschäftigt; da können Sie als Ratsuchender jederzeit Kontakt aufnehmen – und dieser Onlineservice, von London aus gesteuert, wird von den Patienten in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Irland und England hervorragend angenommen. Schnell steigende Patientenzahlen belegen die Akzeptanz und die Notwendigkeit dieser Serviceleistung.
Gibt es aus Ihrer Sicht, insbesondere in der hausärztlichen Erstversorgung, angesichts fehlender Landärzte und überfüllter Wartezimmer in Deutschland überhaupt eine Alternative zur Digitalisierung?
Die hausärztliche Grundversorgung sehe ich als unerlässlich an. Die Onlinemedizin kann aber den Hausarzt und den Facharzt sehr gut entlasten und ihm Arbeit abnehmen. So können Wiederholungsrezepte, Beratungen bei Bagatellstörungen, Reise- und Impfberatung sowie eine Fülle von täglich anfallenden, den Hausarzt belastenden Einzelleistungen, die keine körperliche Untersuchung erfordern, online geklärt werden. In Zukunft kann Telemedizin laut Bundesministerium für Gesundheit vor allem für den ländlichen Raum ein Bestandteil der medizinischen Versorgung werden.
Gesetzliche Kassen und Versicherer beklagen regelmäßig steigende Kosten und rechtfertigen somit auch steigende Beiträge. Diese Interessengruppen müssten eigentlich über DrEd und weitere kostensparende Alternativen jubeln, oder?
Die Onlineberatungs- und -behandlungskosten und die Medikamente werden von den Patienten privat gezahlt. Rechnet man die Summen der Einsparungen für das Gesundheitssystem zusammen, käme eine erhebliche finanzielle Entlastung für die gesetzlichen und privaten Krankenkassen zutage. Das Modell hat sich gesundheitspolitisch in der Schweiz seit 1999 und in England seit 2006 bewährt und wird dort sehr erfolgreich betrieben.
Ist Deutschland rückständig auf diesem Gebiet, und was müsste der Gesetzgeber in Deutschland ändern, damit Ärztinnen und Ärzte von Deutschland aus global tätig und somit auch wirtschaftlich erfolgreich sein können?
Die Telemedizin steckt in Deutschland nicht mehr in den Kinderschuhen, wird aber durch eine restriktive Politik und durch die Berufsordnung der Ärzte in ihrer Ausweitung und Entwicklung behindert. Hier müssten Ärzteverbände, Politiker und der Gesetzgeber die Voraussetzungen für eine qualitativ gesicherte Onlinebehandlung schaffen, damit es auch in Zukunft möglich sein wird, dass Patienten über das Internet ärztlichen Rat einholen können.
Wer ist – global betrachtet – Vorreiter?
Erstaunlicherweise sind die konservative Schweiz und besonders England in diesem Bereich weit vorn dabei und zeigen, wie eine sichere und patientenorientierte Onlineversorgung möglich ist. Auch in den USA, in Kanada, Australien und vielen anderen Ländern ist die Telemedizin nicht mehr wegzudenken.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich fände es gut, wenn der Gesetzgeber und die Verbände endlich Regelungen träfen, die ein gleichberechtigtes Neben einander der notwendigen lokalen bzw. regionalen ärztlichen Versorgung und der Telemedizin schaffen würden. Nur so können auch hier niedergelassene Ärztinnen und Ärzte von den neuen Technologien profitieren und interessante Geschäftsmodelle entwickeln. Denn dass die Digitalisierung in allen Bereichen voranschreitet, ist absehbar.
 
 

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