Bundesgerichtshof erklärt: Das Leben kann nie ein Schaden sein

Bundesgerichtshof erklärt: Das Leben kann nie ein Schaden sein

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Der Sohn eines über Jahre künstlich ernährten, schwer dementen Patienten hatte die behandelnden Ärzte auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verklagt – ohne Erfolg. Das menschliche Leben ist – so das Gericht – ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig.

Der Fall: ein dementer Patient ohne Patientenverfügung

Ein an Demenz erkrankter Patient war fünf Jahre lang bewegungs- und kommunikationsunfähig. Bis zu seinem Tod wurde er künstlich von einer PEG-Magensonde ernährt. Ein Hausarzt betreute ihn während dieser Zeit. Der Patient hat keine Patientenverfügung und konnte seinen Willen zu den lebenserhaltenden Maßnahmen auch nicht äußern. Im Oktober 2011 starb er.
Der Sohn des Patienten verklagte anschließend den Hausharzt. Der Grund: Die künstliche Ernährung habe das Leiden des Vaters sinnlos verlängert. Nach Ansicht des Sohnes hätte der Arzt das Sterben des Patienten zulassen müssen. Der Sohn verlangte Schmerzensgeld sowie Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen.

Das entschied der Bundesgerichtshof

Der Bundesgerichtshof hat die Klage in letzter Instanz abgewiesen (Urteil vom 02.04.2019, VI ZR 13/18). Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Ob der beklagte Arzt gegen seine ärztlichen Pflichten verstoßen habe, prüfte der Senat gar nicht. Nach dessen Auffassung fehlte es auf jeden Fall an einem Schaden:
Die Richter haben den Zustand mit künstlicher Ernährung, also das Weiterleben unter Leiden, dem Zustand ohne künstliche Ernährung, also dem Tod, gegenübergestellt. Das Ergebnis: Es verbietet sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen. Die Entscheidung, sein Leben durch Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen zu beenden, steht nur dem Kranken selbst zu. „Die staatlichen Behörden und Gerichte dürfen ebenso wenig wie der behandelnde Arzt über den Wert des Weiterlebens urteilen“, sagt Tim Müller, Rechtsanwalt bei Ecovis in München.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten entstandenen Behandlungs- und Pflegekosten. Die Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen dienen nicht dazu, wirtschaftliche Belastungen, die sich aus dem Weiterleben ergeben, zu vermeiden und insbesondere nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten. „Mit diesem Urteil dürfte sich der Bundesgerichtshof auch auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts befinden. Dieses hat bereits festgestellt, dass das Leben eines ungewollten Kindes keine Schadensquelle darstellt“, so Müller.
Tim Müller, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht bei Ecovis in München

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