Arzthaftung: Patienten richtig aufklären
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Arzthaftung: Patienten richtig aufklären

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Jeder ärztliche Eingriff ist strafrechtlich eine Körperverletzung. So jedenfalls sehen das Rechtsprechung und Gesetzgeber. Warum trotzdem nur relativ wenige Ärzte in deutschen Gefängnissen sitzen, erklären wir hier.

Wäre jede Körperverletzung strafbar, müssten nach jedem Boxkampf die Kontrahenten in Handschellen aus dem Ring geführt und halbe Fußballmannschaften nach dem Abpfiff verhaftet werden. Dass dies nicht so ist, liegt daran, dass die Sportler in die jeweilige Verletzung eingewilligt haben – jedenfalls soweit sich die Gegner an das Regelwerk halten. Ein grobes Foul kann durchaus eine Körperverletzung im strafrechtlichen Sinne sein – Evander Holyfield wird kaum damit einverstanden gewesen sein, dass ihm Mike Tyson das halbe Ohr abgebissen hat!

Rechtlich wirksame Einwilligung einholen

Auch ärztliche Eingriffe sind nur deswegen nicht strafbar, weil der Patient vorher in die Behandlung einwilligt. Damit diese Einwilligung aber rechtlich wirksam ist, muss er vorher wissen, in was und warum er einwilligt. Die Rechtsprechung hat schon früh aus dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit eine Pflicht zur Aufklärung des Patienten hergeleitet. Mit dem Patientenrechtegesetz von 2013 ist diese Aufklärungspflicht gesetzlich präzisiert: „Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.“

„Dies bedeutet aber nicht, dass der Patient vorher wenigstens bis zum Physikum Medizin studieren muss, damit er die Aufklärung auch tatsächlich im Detail versteht“, sagt Tim Müller, Rechtsanwalt bei Ecovis in München. Der Patient ist vielmehr „im Großen und Ganzen“ aufzuklären; er muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den damit verbundenen Risiken gewinnen. Erst dann kann die Einwilligung in eine Behandlung wirksam sein.

„Wichtig zu wissen ist, dass ein Arzt bei fehlender Einwilligung des Patienten auch dann haftet, wenn er den Eingriff fehlerfrei durchführt und dieser ohne negative Folgen bleibt“, erklärt Müller, „darüber hinaus kann er auch seinen Anspruch auf Vergütung verlieren, was besonders misslich ist.“

Verschiedene Aspekte beachten

Bei der Aufklärungspflicht ist zwischen drei grundsätzlichen Aspekten zu differenzieren:

  • Selbstbestimmungs- oder Eingriffsaufklärung
  • Therapeutische oder Sicherungsaufklärung
  • Wirtschaftliche Aufklärung

Die wesentlichen Grundgedanken der Eingriffsaufklärung sind oben bereits beschrieben: „Der Patient soll über die Diagnose, die Behandlung und deren Risiken Bescheid wissen“, sagt Müller.

Die therapeutische Aufklärung setzt regelmäßig erst nach dem Eingriff ein: Der Arzt muss seinen Patienten über alle Umstände informieren, die er zur Sicherung des Heilungserfolgs, zum eigenen therapiegerechten Verhalten und zur Vermeidung einer möglichen Selbstgefährdung wissen muss. „Dazu gehört beispielsweise der Hinweis, dass sich der Patient nach einer Operation beim Arzt wieder vorstellen muss, dass die Thromboseprophylaxe notwendig ist oder die Medikamente regelmäßig und wie verordnet einzunehmen sind“, erklärt Müller.

Die wirtschaftliche Aufklärung nicht vergessen

Die wirtschaftliche Aufklärung als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag trifft den Behandler, wenn er weiß, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten – also Versicherung oder Berufsgenossenschaft – nicht gesichert ist oder sich dafür hinreichende Anhaltspunkte ergeben, dass die Versicherung nicht zahlen wird. Der Arzt muss dann den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten in Textform informieren.

„Grundgedanke der Regelung ist, dass der Arzt besser als der Patient weiß, welche Leistungen die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt und welche nicht“, sagt Müller. Das betrifft zum Beispiel ärztliche Leistungen, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen enthalten sind. Dazu gehören etwa Zusatzleistungen aus der Komplementärmedizin, individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) für gesetzlich und privat Versicherte oder Behandlungen, von denen der Arzt weiß, dass die Kostenübernahme bei privaten Kassen problematisch ist.

Für alle drei Aspekte der Aufklärung hilft es, den gesunden Menschenverstand zu gebrauchen. Wenn der Arzt aus früheren Patientenbeschwerden weiß, dass eine bestimmte Leistung von privaten Krankenversicherern nicht erstattet wird, ist es klug, den Patienten darauf hinzuweisen. „Einen Anästhesisten auf die Risiken einer Vollnarkose hinzuweisen wird hingegen eher unnötig sein“, erklärt Müller.

Wer schreibt, der bleibt!

Es gibt zwar keine Pflicht, die mündliche Aufklärung zu dokumentieren. Aber im Haftungsprozess hilft ein unterzeichnetes, mit individuellen Anmerkungen, Erläuterungen und Zeichnungen versehenes Aufklärungsformular sehr!

Tim Müller, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht bei Ecovis in München

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