21. November 2022

Wohnungsbesichtigung durch Finanzamt wegen Arbeitszimmer

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Was geschieht, wenn Sie beim Finanzamt ein Arbeitszimmer angeben und es dann zu einer unangekündigten Wohnungsbesichtigung durch das Amt kommt? Lesen Sie hier alles Wichtige rund um ein Urteil des Bundesfinanzhofs in genau so einem Fall.

Hintergrund zur unangekündigten Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt

Einen brisanten Fall hatte der Bundesfinanzhof (BFH) Mitte dieses Jahres zu entscheiden. Mit Urteil vom 12. Juli 2022, Az. VIII R 8/19 (vom BFH am 29. September 2022 veröffentlicht), entschied der BFH die Frage, ob eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung rechtswidrig ist. Grund des Besuchs: die Überprüfung der Angaben der Steuerpflichtigen. Pikantes Detail: Die Steuerpflichtige wirkte bei der Aufklärung ihrer Angaben vorher mit.

Der konkrete Fall

Eine selbstständige Unternehmensberaterin machte in ihrer Einkommensteuererklärung erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Dabei ergaben sich beim Finanzamt (FA) Rückfragen. Die Steuerpflichtige machte daraufhin eine Skizze ihrer Wohnung und schickte diese an das FA. Trotz der Skizze bestand für den Sachbearbeiter des FA weiterer Klärungsbedarf.

Ohne weitere Rückfragen an die Unternehmensberaterin bat er den Flankenschutzprüfer um Besichtigung der Wohnung. Ebenfalls ohne Ankündigung und richterlichen Beschluss erschien dieser an der Wohnungstür. Er wies sich als Steuerfahnder aus und betrat unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung.
Wichtig zu wissen: Die Steuerpflichtige widersprach der Besichtigung nicht.

Das Urteil des BFH zur Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt

Wir haben das Urteil für Sie unter die Lupe genommen.

Mit Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes ist die Unverletzlichkeit der Wohnung in unserer Verfassung verankert. Um dieses Grundrecht ging es in dem vorliegenden Fall primär. Allerdings gehen in diesem Artikel weitere Grundrechte auf, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 1 Grundgesetz).

Dabei garantiert das Grundrecht aus Artikel 13 Grundgesetz die Immunität der Wohnung. Ziel der Norm ist, dem einzelnen Menschen einen elementaren Lebensraum zu sichern, in dem er oder sie in Ruhe gelassen wird. Ihm oder ihr wird also eine Art Rückzugsraum bewilligt (BVerfGE 109, 279/309). Daher sind an den Eingriff an dieses Grundrecht hohe Schranken zu setzen.

Ein möglicher Eingriff in Artikel 13 Absatz 1 Grundgesetz findet sich in Absatz 2. Dieser sieht den qualifizierten Gesetzesvorbehalt der „Durchsuchung“ vor.

Durchsuchen ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe, um planmäßig etwas aufzuspüren, was der Inhaber oder die Inhaberin nicht von sich aus offenlegen möchte. Im konkreten Fall half die Steuerpflichtige bisher mit einer Skizze bei der Auflösung des Sachverhaltes mit, weshalb eine Durchsuchung als Eingriff ausscheidet.

Artikel 13 Absatz 7 Grundgesetz sieht daher unter sonstige Eingriffe jedes körperliche Eindringen in die geschützten Räumlichkeiten oder Maßnahmen, die dem gleichkommen, an. Unter diesen Auffangtatbestand fällt das Handeln des Steuerfahnders.
Dieser war allerdings aufgrund der an ihn zu stellenden Einschränkungsmöglichkeiten nicht gerechtfertigt. Der Beamte hätte die Wohnung also nicht betreten dürfen. Zudem benötigen Fahnder:innen grundsätzlich einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zum Betreten der Wohnung.

An dieser Stelle setzt nun wieder das Urteil ein. Nach Ansicht der Richter:innen wäre eine Besichtigung der Wohnung einer mitwirkungsbereiten Steuerpflichtigen erst dann geboten, wenn die Unklarheiten durch weitere Auskünfte oder andere Beweismittel, wie beispielsweise Fotografie, nicht aufgeklärt werden könnten.

Die Klägerin begehrte, dass ein schwerwiegender Grundrechtseingriff in ihr Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung festgestellt wird. Diesen lehnte der BFH allerdings mit der Begründung ab, dass sie der Besichtigung zugestimmt hatte und verwies dabei auf Rechtsprechung und Literatur (BFH – Beschluss in BFH/NV 2010, 1415; Herdegen in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hg.), BK, Artikel 13 Rz. 44).

Auch ergebe sich der schwere Grundrechtseingriff nicht dadurch, dass die Klägerin sich von dem plötzlichen Erscheinen des Beamten „überrumpelt“ fühlte.

Die Einwilligung in die Besichtigung ändere laut Gericht dennoch nichts an ihrer Rechtswidrigkeit.
Die Maßnahme des FA war allerdings nicht nur aufgrund der noch nicht vollends ausgeschöpften, milderen Mittel rechtswidrig. Wie der BFH weiter ausführte, war die Ermittlungsmaßnahme auch deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil die Zuständigkeit fehlerhaft war.
Statt des Steuerfahnders wäre ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin der Veranlagungsstelle zuständig gewesen. Zur Begründung führte der BFH an, dass das persönliche Ansehen der Steuerpflichtigen dadurch gefährdet werden kann, dass zufällig anwesende Dritte, beispielsweise Besucher:innen oder Nachbar:innen, glauben, dass bei der Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt wird.

Unsere Einschätzung

Der BFH urteilte, dass die Besichtigung rechtswidrig war. Wir begrüßen das Urteil, da es aus unserer Sicht die einzig richtige Entscheidung ist.

Denn was auf den ersten Blick wie keine ungewöhnliche Maßnahme des Finanzamtes aussieht, ist auf den zweiten Blick ein erheblicher Eingriff in ein ranghohes Grundrecht unserer Verfassung.
Das Finanzamt hatte noch Glück im Unglück, dass die Besichtigung der Wohnung von der Steuerpflichtigen zumindest unter ihrer Zustimmung stattgefunden hat.
Andernfalls läge ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vor, der das Vertrauen in den Fiskus nachhaltig erschüttert hätte.
Auf der anderen Seite ist allerdings klar zu sagen, dass es sich bei diesem Vorgehen um einen Einzelfall handeln dürfte. Dennoch sollten Sie sich immer einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss vorzeigen lassen, bevor Sie Zutritt gewähren.

Benötigen Sie Unterstützung bei Ihrer Einkommensteuererklärung, der Korrespondenz oder sonstigen Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Finanzamt, dann sprechen Sie uns jederzeit gerne an!

 

Marcus Büscher

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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