22. September 2022

EuGH: Keine Verjährung von Urlaubsansprüchen ohne vorherigen Hinweis des Arbeitgebers

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In seinem jüngsten Urteil stellte der EuGH klar, dass die Verjährung von Urlaubsansprüchen nur eintreten kann, wenn Arbeitgeber:innen ihre Arbeitnehmer:innen zuvor über ihren Urlaubsanspruch informiert und dazu aufgefordert haben, diesen wahrzunehmen.

Verjährung von Urlaubsansprüchen nicht vollständig geklärt

Bisher musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) sich nur mit dem Verfall, nicht aber der Verjährung von zum Jahresende nicht wahrgenommenen Urlaubsansprüchen auseinandersetzten.  

Der EuGH entschied bereits mit Urteil vom 22. November 2011 (C-214/10), dass Urlaubsansprüche – auch ohne Hinweis der Arbeitgeber:innen – 15 Monate nach Jahresende verfallen können. Voraussetzung: Arbeitnehmer:innen waren aufgrund andauernder Arbeitsunfähigkeit daran gehindert, den Urlaub zu nehmen. Denn mit einem Urlaubsanspruch für 15 Monate ist der Erholungszweck des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin in jedem Fall gesichert. Weiteres, unbegrenztes Ansammeln von Urlaub würde nur eine grundlose Bereicherung des oder der arbeitsunfähigen Arbeitnehmer:in darstellen.

Das EuGH hat sich in einem weiteren Urteil vom 6. November 2018 (C-619/16) auch mit dem Verfall von Urlaubsansprüchen, die Arbeitnehmer:innen prinzipiell in Anspruch hätten nehmen können, auseinandergesetzt. Damals stellte der EuGH klar, dass Arbeitgeber:innen ihre Arbeitnehmer:innen zuvor auf ihren Urlaubsanspruch hinweisen und sie dazu auffordern müssen, diesen wahrzunehmen. Ansonsten verfällt der Urlaubsanspruch nicht. Diese Hinweisobliegenheit wurde mit der schwächeren Stellung des oder der Arbeitnehmer:in im Arbeitsverhältnis begründet, die sonst dazu führen könnte, dass der oder die Arbeitnehmer:in aufgrund der Besorgnis von Nachteilen für ihn bzw. sie auf eine Ausübung seiner oder ihrer Urlaubsansprüche verzichtet.

Neues Urteil des EuGHs: Verjährung von Urlaubsansprüchen ohne vorherigen Hinweis des/der Arbeitgeber:in verstößt gegen EU-Recht

Mit seinem jüngsten Urteil vom 22. September 2022 (C-120/21) hat der EuGH diese arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung fortgesetzt. Danach ist auch für die Verjährung von Urlaubsansprüchen nach drei Jahren gemäß § 195 BGB ein vorheriger Hinweis der Arbeitgeber:innen auf die bestehenden Urlaubsansprüche und die Aufforderung, diese wahrzunehmen, erforderlich.

Dem Urteil lag ein deutsches Verfahren vor dem AG Solingen zugrunde, welches dann über das LAG Düsseldorf bis zum Bundesarbeitsgericht geführt wurde. Dieses bat den EuGH dann um Vorabentscheidung über die Frage, ob die Anwendung der Regelverjährung von drei Jahren im deutschen Recht mit EU-Recht vereinbar ist. In dem Ausgangsverfahren forderte ein Arbeitnehmer die Abgeltung von rund 100 Tagen nicht genommenen Urlaubs der letzten fünf zurückliegenden Jahre. Der Arbeitgeber berief sich auf die Regelverjährung nach drei Jahren.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Verjährung von Urlaubsansprüchen grundsätzlich mit EU-Recht vereinbar ist. Die Möglichkeit des Arbeitgebers, sich ohne vorherigen Hinweis und Aufforderung, den Urlaub wahrzunehmen, auf die Verjährung zu berufen, verstoße aber gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der Schutz der im Arbeitsverhältnis unterlegenen Partei des Arbeitnehmers überwiege insoweit das Interesse an Rechtssicherheit durch das Institut der Verjährung.

Damit ist nun nicht nur der Verfall von Urlaubsansprüchen nach § 7 III BUrlG bei fehlendem Grund für den Übertrag ins nächste Jahr von einer Hinweisobliegenheit des oder der Arbeitgeber:in abhängig. Auch die Verjährung von Urlaubsansprüchen beginnt nur, wenn Arbeitgeber:innen die Arbeitnehmer:innen zuvor auf den bestehenden Urlaubsanspruch hingewiesen und zur Wahrnehmung des Urlaubsanspruchs aufgefordert haben.

Unsere Einschätzung

Die Weiterführung der Rechtsprechung des EuGHs, die dem oder der Arbeitgeber:in folgenreiche Hinweisobliegenheiten hinsichtlich zum Jahresende nicht genommenen Urlaubs auferlegt, hat praktische Folgen für Arbeitgeber:innen. Informieren Sie vor Jahresende ihre Arbeitnehmer:innen schriftlich über nicht genommenen Urlaub und fordern Sie sie zur Wahrnehmung des Urlaubs auf. Ansonsten drohen bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen hohe Forderungen nach Urlaubsabgeltung. Urlaubsansprüchen kann auch nach drei Jahren ohne vorherigen Hinweis nicht die Verjährung entgegengehalten werden.

Sie haben weitere Fragen zu den Folgen der Entscheidung des EuGHs, urlaubsrechtlichen Problemen und Möglichkeiten der Vertragsgestaltung oder benötigen sonst arbeitsrechtliche Beratung? Dann kommen Sie gerne jederzeit auf uns zu!

Jens Bühner

Partner, Rechtsanwalt, LL.M., Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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