27. Juli 2022

Teilhabe im Netz: Digitale Barrierefreiheit als Chance

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Aufzüge, Bahnsteige oder andere Einrichtungen werden saniert oder umgebaut, um einen barrierefreien Zugang und damit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Doch die Barrierefreiheit spielt nicht nur in der analogen Welt eine Rolle. Auch in der digitalen Welt nimmt die Relevanz dieses Themas immer weiter zu. Erfahren Sie hier, was Sie mit Blick auf Barrierefreiheit für Ihr digitales Angebot beachten müssen.

Was bedeutet digitale Barrierefreiheit?

Digitale Barrierefreiheit bedeutet, dass digitale Angebote für alle Menschen zugänglich und nutzbar sind. Menschen mit einer Behinderung haben andere Anforderungen an Webseiten, deren Inhalte, Gestaltung und Nutzungsmöglichkeiten. So können etwa Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit kleine Texte oder kontrastarme Webangebote nur bedingt nutzen. Auch sind viele Inhalte nicht so optimiert, dass sie etwa von sogenannten “Screenreadern” vorgelesen werden können. 

Was zählt als digitale Barriere?

Die digitale Barrierefreiheit ist nicht nur auf körperliche Einschränkungen wie eine Sehbehinderung oder Schwerhörigkeit zu beschränken. Vielmehr gelten auch alltägliche Beeinträchtigungen, wie schlechter Empfang, eine laute Umgebung oder die fehlende Möglichkeit zum Abspielen von Ton als Barriere. Websites und digitale Inhalte müssen für eine uneingeschränkte Nutzer-Erfahrung entsprechend angepasst und gestaltet sein. 

Wie ist das Thema rechtlich einzuordnen?

Bereits jetzt sind öffentliche Stellen gesetzlich verpflichtet, die digitale Barrierefreiheit umzusetzen, aber auch privatwirtschaftliche Unternehmen sind bis 2025 verpflichtet nachzuziehen. Zentrale Regelung dafür ist die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BITV 2.0). 

Der Ursprung des BITV 2.0 liegt in der EU-Richtlinie „EU 2016/2102“, die am 26.10.2016 veröffentlicht wurde. Deren Ziel ist es, die Anforderungen an barrierefreie Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen europaweit zu vereinheitlichen. Die Richtlinie definiert zudem die Mindestanforderungen an die digitale Barrierefreiheit und auch die Fristen zu deren Umsetzung. 

2018 wurden die Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit in der technischen Norm EN 301 549 V2.1.2 spezifiziert, die wiederum auf die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1) verweist. Bei diesen Handlungsrichtlinien handelt sich um einen internationalen Standard für barrierefreie Websites, die auf vier grundlegenden Prinzipien basiert:

  1. Wahrnehmbarkeit,
  2. Bedienbarkeit, 
  3. Verständlichkeit
  4. Robustheit. 

Im Juli 2018 hat Deutschland das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) angepasst und weitere Gesetze auf Landesebene beschlossen. Die dort beschlossenen Sachverhalte sind in der BITV 2.0 konkretisiert, die sich wiederum an der WCAG orientiert. 

Wann ist die Seite barrierefrei?

Was wird unter den vier Grundprinzipien, die in der WCAG genannt werden, verstanden? 

  • Dafür muss die Website zunächst wahrnehmbar sein. Dafür sollte die Website flexibel darstellbar sein, also etwa die Anpassung von Kontrast, die Farbe und Text-Größe. Des Weiteren sollte es Text-Alternativen für Nicht-Text-Inhalte geben, damit Screenreader die Möglichkeit haben, diese zu erfassen. 
  • Die Website und Navigation müssen bedienbar sein. Das bedeutet, dass alle Inhalte und Funktionen nicht nur per Maus, sondern auch über die Tastatur bedienbar sein müssen. Zudem muss eine übersichtliche Seitenstruktur mit Überschriften, Absätzen und Listen vorhanden sein und ausreichend Zeit gewährt werden, um Inhalte lesen und benutzen zu können. 
  • Ferner müssen die Informationen auf der Website leicht lesbar und durch die Verwendung einfacher Sprache oder Gebärdensprache verständlich sein. Bei der Eingabe von Daten in Online-Formulare muss Unterstützung gegeben werden.
  • Damit sie von möglichst allen Benutzeragenten und assistiven Technologien zuverlässig interpretiert werden können, müssen die Inhalte auch robust sein. Dazu zählt in etwa Alexa von Amazon oder Kühlschrankdisplays.

Digitale Barrierefreiheit: Welche Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet?

Laut § 12 BGG sind alle öffentlichen Stellen des Bundes zur Barrierefreiheit verpflichtet. Davon betroffen sind bspw. Behörden, Stiftungen, Verbände oder andere öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen. Weitere öffentliche Stellen sind grundsätzlich u.a. gesetzliche Krankenversicherungen, der öffentliche Nahverkehr, Hochschulen und Industrie- und Handelskammern. Ob es sich um eine öffentliche Stelle handelt, muss im konkreten Fall geprüft werden.

Was gilt für privatwirtschaftliche Unternehmen?

Durch die 2019 verabschiedete Richtlinie „European Accessibility Act (EAA) EU 2019/882)“ sind alle Wirtschaftsakteure in Europa ab 10 Mitarbeiter:innen und zwei Millionen Euro Jahresumsatz zu mehr Barrierefreiheit bei Produkten und Dienstleistungen verpflichtet. Hierzu zählen u. a. der Online-Handel, Hardware-Systeme (Computer, Smartphones) oder Bankdienstleistungen. 

Diese Richtlinie gilt nicht unmittelbar, vielmehr müssen die EU-Mitgliedsstaaten diese in nationale Gesetze umsetzen. Deutschland hat dies mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) bereits 2021 getan. Das BFSG tritt 2025 in Kraft. Ab dem 28. Juni 2025 müssen Webseiten von Onlineshops barrierefrei angeboten werden.

Unsere Einschätzung

Von der digitalen Barrierefreiheit profitieren alle Nutzer:innen des Internets. Sich um sie zu bemühen und umzusetzen, bedeutet, die Chance für mehr Nutzerzufriedenheit, höhere Reichweite und mehr potenzielle Neukund:innen wahrzunehmen. Zudem bereichern digitale Angebote das Leben aller und gerade Menschen mit Behinderung nehmen diese Angebote verstärkt wahr. Die EU ist bereits tätig geworden, um diese Barrieren abzubauen und die Websites benutzerfreundlicher zu gestalten. Während für öffentliche Stellen Barrierefreiheit bereits Pflicht ist, müssen die privatwirtschaftlichen Unternehmen bis 2025 nachziehen. Sollten Sie Fragen rund um das Thema digitale Barrierefreiheit oder bei der Gestaltung Ihrer Website haben, sprechen Sie uns gerne an!

Bahar Beyaz

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Internationales Wirtschaftsrecht

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