21. April 2022

Neues Urteil zum Widerruf eines Vertrags und zu Widerrufsinformationen

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Ob Widerrufsinformationen korrekt sind und ob Verbraucher:innen auch nach Jahren noch Erfolg mit dem Widerruf eines Vertrags haben, hat immer wieder die Gerichte beschäftigt. Nun gibt es ein neues Urteil aus Stuttgart. Spoiler vorab: Die Anforderungen an Widerrufsinformationen wurden konkretisiert.

Hintergrund zu Widerruf von Verträgen – Kaskadenverweise

Dreh- und Angelpunkt: Die im Vertrag enthaltenen Widerrufsinformationen. Fehlen Informationen, wird die Widerrufsfrist nicht wirksam in Gang gesetzt. Verbraucher:innen haben dann auch nach Jahren noch ein Widerrufsrecht. Über die ergangenen Entscheidungen haben wir bereits in vorherigen Blogbeiträgen berichtet. Kaskadenverweise sind unzulässig.

Europäischer Gerichtshof: Kaskadenverweis unzulässig

Im März 2020 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Klauseln in Verbraucherdarlehensverträgen, die einen sogenannten Kaskadenverweis enthalten, unzulässig sind (Urteil vom 26. März 2020, Az.: C-66/19). Ein Kaskadenverweis liegt vor, wenn in der Klausel auf ein Gesetz verwiesen wird, das sich wiederum auf ein anderes Gesetz bezieht. Nach Ansicht des EuGH sind Verbraucher:innen in klarer und prägnanter Form über die Frist und die Modalitäten ihres Widerrufsrechts zu informieren. Durch die Verwendung eines Kaskadenverweises werde dieser Anforderung nicht genüge getan. Grund: Für Verbraucher:innen sei aus der Widerrufsbelehrung allein nicht ersichtlich, ob die Widerrufsfrist zu laufen begonnen hat.

Bundesgerichtshof urteilte in Einzelfällen anders als der Europäische Gerichtshof

Der Bundesgerichtshof (BGH) sah sich durch die Entscheidung des EuGH in Einzelfällen nicht zwingend gebunden.
Vielmehr hat sich der BGH im Rahmen der Urteile vom 27. Oktober 2020 (Az.: XI ZR 498/19 und XI ZR 525/19) der Ansicht des EuGH angeschlossen und die in den konkreten Fällen verwendeten Kaskadenverweise als nicht klar und verständlich eingeordnet. In der Folge steht Verbraucher:innen ein Widerrufsrecht zu.
Habe der Darlehensgeber jedoch Widerrufsinformationen verwendet, die exakt dem Wortlaut des EGBGB-Musters (Anlage 7 zu Art. § 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB) entsprechen, könne dieser sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion des § 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB berufen. Das Eingreifen der Gesetzlichkeitsfiktion bedeutet, dass Verbraucher:innen die Geltendmachung eines Widerrufsrechts auf Grundlage einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung verschlossen bleibt.

Urteil zum Widerruf eines Vertrags: Widerrufsinformationen der Mercedes-Benz Bank AG waren unzureichend

Das Landgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 10. März 2022 (Az.: 12 O 18/22) nun auch die in den Vertragsunterlagen der Mercedes-Benz AG verwendeten Widerrufsinformationen als unzureichend erachtet. Zur Finanzierung des Kaufs eines gebrauchten Mercedes-Benz Fahrzeugs hatte der Kläger im August 2017 mit der Mercedes-Benz Bank einen Darlehensvertrag über 17.000 Euro abgeschlossen. Diesen Vertrag widerrief er im Januar 2021 mit der Begründung, dass die Widerrufsfrist aufgrund fehlerhafter Widerrufsinformationen nicht in Gang gesetzt worden sei. Dieser Ansicht schloss sich auch das Landgericht an.
Da der vorliegende Verbraucherdarlehensvertrag keine ausreichenden Angaben zur Art und Weise der Anpassung des Verzugszinssatzes enthalte, habe der Fristlauf gem. § 356 b Abs. 1 BGB nicht begonnen.

Widerrufsrecht: Verzugszinsen müssen mit konkretem Prozentsatz und Berechnungsmethode angegeben werden

Die richtlinienkonforme Auslegung des Art. 247 § 3 Nr. 11 EGBGB gebietet grundsätzlich, dass im Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses geltende Satz der Verzugszinsen in Form eines konkreten Prozentsatzes anzugeben ist. Außerdem muss der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes konkret beschrieben sein.

Haben beide Parteien vereinbart, dass sich der Verzugszinssatz entsprechend der von der Zentralbank eines Mitgliedstaats der EU festgelegten Änderung des Basiszinssatzes ändere, reiche ein Verweis auf diesen Basiszinssatz aus.  Allerdings muss dann die Methode zur Berechnung des Satzes der Verzugszinsen im Vertrag beschrieben werden.

Diese Darstellung der Berechnungsmethode müsse zum einen für Durchschnittsverbraucher:innen leicht verständlich und selbst zu berechnen sein. Außerdem muss eine Angabe zur Häufigkeit der Änderung des Basiszinssatzes nach den nationalen Bestimmungen enthalten sein. Genau das fehlte in den Widerrufsinformationen der Mercedes-Benz Bank AG. Das Landgericht Stuttgart sah den erklärten Widerruf daher als wirksam an.

Unsere Einschätzung

Das Urteil des Landgerichts Stuttgart dürfte einige Darlehensnehmer:innen der Mercedes-Benz Bank AG zur Lektüre Ihrer Widerrufsinformationen bringen. Durch den Widerruf können Sie auch den mit dem Darlehensvertrag im Sinne des § 358 BGB verbundene Kaufvertrag rückabwickeln. Allerdings gibt es auch mit diesem Urteil keinen allgemeinen „Widerrufsjoker“ für Auto-Finanzierungsverträge. Die Widerrufsinformationen sind einzelfallabhängig und wir raten dringend, zu einer individuellen Prüfung.

Haben Sie Fragen zum Widerruf eines Vertrags und zu konkreten Widerrufsinformationen? Dann sprechen Sie uns gerne jederzeit an!

Paola Koudela

Prokuristin, Rechtsanwältin

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