13. Dezember 2021

Betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) und Kündigung nach langer Krankheit

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Erfahren Sie hier alles zum Thema „betriebliches Eingliederungsmanagement“ (bEM) und wann eine Kündigung nach langer Krankheit möglich ist.

Sind Arbeitnehmer:innen länger als sechs Wochen im Jahr arbeitsunfähig erkrankt, müssen Arbeitgeber:innen prüfen, durch welche Maßnahmen die Arbeitskraft der betroffenen Mitarbeitenden wiederhergestellt werden kann. Dieser Prozess wird  betriebliches Eingliederungsmanagement – kurz “bEM” genannt. Ziel des bEM ist es, künftigen Erkrankungen vorzubeugen und die Mitarbeitenden schrittweise wieder in den Betrieb zu integrieren.

Verhinderung „vorschneller“ Vertragsbeendigungen

Das bEM ist gesetzlich in § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX geregelt. Es soll helfen, die Arbeitsunfähigkeit eines erkrankten Arbeitnehmers zu überwinden und zugleich erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Der Gesetzgeber will so den vorschnellen Ausspruch von krankheitsbedingten Kündigungen ohne vorherige Präventions- und Prüfungsmaßnahmen und damit letztlich Arbeitslosigkeit verhindern.

Arbeitgeber:in trägt Darlegungs- und Beweislast

Trotz der gesetzlichen Normierung ist die Durchführung des bEM keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Verzichten Sie als Unternehmer:in aber darauf, hat das Folgen; Sie tragen im Streitfall die volle Darlegungs- und Beweislast. Das bedeutet, Sie müssen zunächst belegen, welche gesetzlich vorgesehenen Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin vorgeschlagen wurden. Zur Erläuterung: Rehabilitationsträger („Reha-Träger“) sind Institutionen, die die Kosten für die Hilfen und Leistungen zur sozialen, medizinischen oder beruflichen Rehabilitation übernehmen. In Deutschland gibt es mehrere Rehabilitationsträger wie beispielsweise die gesetzliche Kranken- , Unfall-, und Rentenversicherung. Sie fördern Maßnahmen wie Psychotherapie oder Krankengymnastik, die ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verhindern oder die dauerhafte berufliche Wiedereingliederung ermöglichen. Kommen keine einschlägigen Rehabilitationsmaßnahmen für den erkrankten Arbeitnehmer oder die erkrankte Arbeitnehmerin in Betracht, müssen Arbeitgeber:innen darlegen, weshalb diese nicht geeignet waren, künftige Fehlzeiten zu vermeiden.

In der Praxis wird ein solcher Nachweis kaum gelingen, da Arbeitgeber:innen in der Regel keine oder nur unzureichende Kenntnisse von den Hintergründen der Leiden haben, die der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegen. Sie können daher nicht detailliert darlegen, warum der Einsatz des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist. Auch nicht, warum ein Einsatz nach einer leidensgerechten Anpassung und Veränderung des Arbeitsplatzes ausgeschlossen ist und weshalb der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann. Ohne einen solchen detaillierten Vortrag haben beklagte Arbeitgeber:innen nur sehr geringe Chancen, im Kündigungsschutzprozess zu obsiegen.

Einladung zum bEM-Gespräch

Um also die rechtlichen Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung zu schaffen, sollten Sie als Arbeitgeber:in den oder die Arbeitnehmer:in zu einem bEM-Gespräch einladen. Zunächst muss der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin sich mit der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements einverstanden erklären. Im Anschluss klärt der Arbeitgebende mit ihm oder ihr, wie eine Heranführung an den Arbeitsalltag erfolgen könnte. Dazu müssen Arbeitgeber:innen weitere Personen beteiligen. Zum einen die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176 SGB IX (Betriebsrat/Personalrat). Bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung und gegebenenfalls noch den Werks- oder Betriebsarzt oder die -ärztin. Zu klären ist auch, mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.

Teilnahme von Vertrauensperson möglich

Dank einer Gesetzesänderung vom 2. Juni 2021 ist es für betroffene Arbeitnehmer:innen nun möglich, eine Person ihres Vertrauens in das bEM-Gespräch einzubeziehen. Das kann auch ein Rechtsanwalt, eine Rechtsanwältin oder ein beziehungsweise eine Verbandsvertreter:in sein. Das kommt insbesondere Arbeitnehmer:innen zu Gute, die aufgrund Ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage sind, sich sinnvoll in das bEM einzubringen. Rechtsanwälte oder Rechtsanwältinnen können dabei helfen, konstruktive Lösungen zu finden und so eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden.

Unsere Einschätzung

Die Arbeitsgerichte setzen an die Darlegungslast zu Lasten der Arbeitgeberseite hohe Anforderungen. Selbst da, wo allen Beteiligten klar ist, dass eine weitere Beschäftigung nicht möglich ist. Also wo weder betroffene Arbeitnehmer:innen noch Arbeitgebende, Betriebsräte oder Betriebsärzt:innen einen Ansatzpunkt sehen, um zukünftige Fehlzeiten zu verhindern, kann die ausgesprochene Kündigung durch das Gericht für unwirksam erklärt werden. Um dies zu verhindern sollten Sie sich frühzeitig anwaltlich zum betrieblichen Eingliederungsmanagement beraten lassen.

Machen Sie bereits bei der Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement Fehler, gilt das Verfahren als nicht ordnungsgemäß eingeleitet und damit als nicht durchgeführt. Das gilt auch, wenn die Einladung nicht den gesetzlichen Erfordernissen entspricht.
Die nächsten Unsicherheiten erwarten Arbeitgeber:innen sobald Arbeitnehmer:innen auf die Einladung nicht reagieren oder das bEM ablehnen. Diese und weitere Unwägbarkeiten führen dazu, dass Kündigungsschutzprozesse häufig unberechenbar sind. Außerdem auch dazu, dass sie häufig mit Vergleichen zu Lasten der Arbeitgebenden enden.

Haben Sie Fragen? Dann kommen Sie jederzeit gerne auf uns zu!

 

 

Johannes Dähnert

CSO, CCO, CHRO, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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