27. Oktober 2021

Physiotherapie und Umsatzsteuer – wichtiges Urteil für Physiotherapeuten

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Der Bedarf an physiotherapeutischen Leistungen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Erfahren Sie hier, was Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten rund um die Umsatzsteuer wissen müssen.

Physiotherapeut:innen erbringen eine Vielzahl an unterschiedlichen Leistungen. Bei all diesen Leistungen geht es immer auch darum, wie sie abgerechnet werden und welche Umsatzsteuer dabei anfällt. Das Finanzgericht Düsseldorf hat nun ein interessantes Urteil zugunsten von Physiotherapeut:innen und deren Patient:innen gefällt.

Das müssen Physiotherapeut:innen bei der umsatzsteuerlichen Behandlung ihrer Leistungen beachten

Physiotherapeut:innen zählen hinsichtlich der Einkommensteuer zu Freiberufler:innen und erzielen somit Einkünfte aus selbstständiger Arbeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Trotz der Freiberuflichkeit sind Physiotherapeut:innen aus umsatzsteuerlicher Sicht Unternehmer:innen im Sinne des § 2 Abs. 2 UStG. Grund dafür ist, dass sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Sie üben eine selbstständige Tätigkeit aus.
  • Nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen: man ist aktiv tätig mit der Absicht Umsätze zu tätigen.

Aus diesen Gründen unterliegen die erbrachten Leistungen von Physiotherapeut:innen den allgemeinen Grundsätzen der Umsatzsteuer. Es gibt allerdings Ausnahmen, in denen bestimmte Leistungen von der Umsatzsteuer befreit werden.

Grundsätzliche umsatzsteuerpflichtige Behandlung: umsatzsteuerpflichtige Behandlung ist entscheidend

Ob Physiotherapeut:innen Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen müssen, hängt erst einmal davon ab, ob für die Behandlung ein Rezept vorliegt oder nicht. Denn grundsätzlich gilt: Wer als Physiotherapeut:in aufgrund ärztlicher Verordnung Heilbehandlungen oder Rehabilitationssport / Funktionstraining erbringt, bei denen / dem ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht, muss keine Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen.

Fehlt ein formeller Nachweis, dürfen Physiotherapeut:innen, wenn sie zur Feststellung des therapeutischen Zwecks befähigt sind, Unterlagen als Beweismittel verwenden, die zum therapeutischen Zweck vergleichbar mit der Aussagekraft einer ärztlichen Verordnung sind.
Umsatzsteuerpflichtig sind entsprechend alle Behandlungen, die nicht medizinisch-indiziert sind. Das heißt, wenn Therapeut:innen keine Verordnung eines Arztes, einer Ärztin, eines Heilpraktikers oder einer Heilpraktikerin vorliegt. Die erbrachten Behandlungen unterliegen dann dem normalen Regelsteuersatz von derzeit 19 Prozent.

Wenn die physiotherapeutische Behandlung nach der Heilmittelrichtlinie und dem Heilmittelkatalog als Heilmittel verordnungsfähig ist, aber keine Heilmittelverordnung eines Arztes, einer Ärztin, eines Heilpraktikers oder einer Heilpraktikerin vorliegt, gilt für die Behandlung von Patient:innen der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent.

Welche Leistungen werden von der Umsatzsteuer befreit beziehungsweise unterliegen dem Regel- oder ermäßigten Umsatzsteuersatz?

Zu den umsatzsteuerfreien Leistungen gehören grundsätzlich  alle Maßnahmen, die der Vorbeugung, Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten dienen. Somit Leistungen, die aufgrund einer Vertrauensbeziehung zwischen Patient:in und behandelndem Arzt beziehungsweise Ärztin zustande kommen. Aber auch Krankenhausbehandlungen einschließlich Verpflegung, Unterbringung und medizinischen Behandlungen sind von der Umsatzsteuer befreit.
Therapeut:innen, die ihre Heilbehandlungen als Heilpraktiker:in oder Teilheilpraktiker:in heilkundlich abrechnen, können ebenfalls auf die Berechnung der Umsatzsteuer verzichten.

Nicht verordnungsfähig und somit umsatzsteuerpflichtig sind die nicht-invasive Magnetfeldtherapie, Fußreflexzonenmassage, Akupunktur oder Atlas-Therapie nach Arlen. Außerdem Leistungen zur Veränderung der Körperform, wie beispielsweise die Erstellung individueller Trainingspläne für Sportler:innen. Diese und andere Leistungen unterliegen dem Regelsteuersatz von derzeit 19 Prozent. Auch alle Maßnahmen zur Steigerung des Wohlbefindens, wie beispielsweise Wellness-Massagen oder auch Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe werden steuerlich nicht begünstigt. Grund: Diese Leistungen haben laut § 20 SGB V “keinen unmittelbaren Krankheitsbezug” und verbessern “lediglich den allgemeinen Gesundheitszustand”. zu den Maßnahmen zur Steigerung des Wohlbefindens gehören beispielsweise Yogakurse, Rückenschule, oder Autogenes Training.

Eine Leistung kann dem ermäßigten Steuersatz unterworfen werden, wenn sie nach der Heilmittel-Richtlinie und dem Heilmittelkatalog verordnungsfähig ist. Dazu zählen beispielsweise Elektrotherapie, Heilmassage, Heilgymnastik und Unterwasserdruckstrahl-Massagen. Alle weiteren verordnungsfähigen Heilmittel können dem Heilmittelkatalog entnommen werden.

Anschlussbehandlungen im Nachgang an ärztlich verordnete Behandlungen

Bisher galt folgender Grundsatz: Lässt ein Patient oder eine Patientin weitere Behandlungen im Anschluss an eine ursprünglich ärztlich verordnete Behandlung ohne Vorlage einer erneuten ärztlichen Verordnung durchführen, muss diese sogenannte Anschlussbehandlung demnach selbst gezahlt werden und bleibt nicht steuerfrei. Denn sie geschieht auf  Empfehlung des Physiotherapeuten oder der Physiotherapeutin.
Die Anschlussbehandlung (Selbstzahler:in) unterliegen dann – je nach Leistung – dem vergünstigten Steuersatz von sieben Prozent oder dem Regelsteuersatz von 19 Prozent.

Urteil Finanzgericht Düsseldorf vom 16. April 2021

Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit seinem Urteil vom 16. April 2021 ein Klageverfahren zugunsten der Klägerin entschieden. Im Urteil ging es um die umsatzsteuerliche Behandlung einer Gesundheitsdienstleisterin im Bereich der Physiotherapie.
Im konkreten Streitfall vertrat die Klägerin die Auffassung, dass die von ihr im Anschluss an eine ärztlich verordnete Behandlung durchgeführten Anschlussbehandlungen umsatzsteuerfrei seien. Außerdem, dass eine fortlaufende Verordnung dafür nicht zwingend erforderlich wäre. Zusätzlich wären weitere von ihr erbrachte und gesondert dem Patienten gegenüber erbrachte Leistungen ebenfalls von der Umsatzsteuer befreit, da sie aus steuerlicher Sicht eine unselbstständige Nebenleistung zur der Anschlussbehandlung als Hauptleistung darstellen würden. Konkret waren ihre Leistungen: Kinesio-Taping, Wärme- und Kältetherapie, Extensionsbehandlung, bestimmte zertifizierte Kurse, Rehasport und zusätzliche Gerätetrainings.

Das zuständige Finanzamt vertrat allerdings die Auffassung, dass hinsichtlich der durchgeführten Anschlussbehandlung ohne erneute ärztliche Verordnung der therapeutische Zweck der Leistungen nicht nachgewiesen werden könne. Deshalb würden sie der Umsatzsteuer unterliegen. Zudem wären die übrigen erbrachten Leistungen keine unselbstständigen Nebenleistungen zur Hauptleistung, da sie optional zusätzlich in Anspruch genommen werden könnten.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat hinsichtlich der Umsatzsteuerfreiheit von Anschlussbehandlungen zugunsten der Klägerin entschieden.
Demnach können Physiotherapeut:innen Anschlussbehandlungen umsatzsteuerfrei gegenüber ihren Patienten abrechnen, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Bereits vor Beginn der Abschlussbehandlung hat eine ärztliche Verordnung vorgelegen und
  • der Patient oder die Patientin kann spätestens nach Ablauf eines Jahres wegen derselben chronischen Erkrankung eine neue ärztliche Verordnung vorlegen.

Hinsichtlich der übrigen erbrachten Leistungen wurde die Klage abgewiesen. Die zusätzlich erbrachten Leistungen stellen somit keine unselbstständige Nebenleistung zur Haupt-/ Anschlussbehandlung dar.
Das Urteil ist rechtskräftig. Das Finanzgericht Düsseldorf hatte zwar eine Revision zugelassen, das Finanzamt hat diese aber nicht eingelegt.

Grundsätzliche umsatzsteuerliche Behandlung von physiotherapeutischen Leistungen im Überblick

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Unsere Einschätzung

Bei Physiotherapeut:innen ist es besonders bei Umsatzsteuerbefreiungen oft schwierig, alle Bestimmungen im Überblick zu behalten. Zudem kommt noch organisatorisch die durch die ständig wachsende Nachfrage immer höhere Auslastung der Physiotherapeut:innen hinzu.
Bevor sie eine Leistung anbieten, müssen Physiotherapeut:innen prüfen, wie erbrachte physiotherapeutische Leistungen abgerechnet werden müssen. Nur so können sie korrekt – und gegebenenfalls mit Umsatzsteuer – abrechnen. 
Stellen Physiotherapeut:innen erst nach einer Behandlung fest, dass die Behandlung der Umsatzsteuer unterliegt, mindert die an das Finanzamt abzuführende Umsatzsteuer automatisch die eigenen Erlöse.

Schlimmer noch: Rechnen Sie nicht korrekt ab, führt das schnell zur Anordnung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung oder gar einer dreijährigen Betriebsprüfung. Bei fälschlicherweise nicht an das Finanzamt abgeführter Umsatzsteuer droht Ihnen unter Umständen zusätzlich die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens.

Wir empfehlen Ihnen daher, sich frühzeitig mit dem Thema Umsatzsteuer auseinanderzusetzen, damit Sie steuerlich auf der sicheren Seite sind. Neben der umsatzsteuerlichen Beurteilung der erbrachten physiotherapeutischen Leistungen ist es auch extrem wichtig, Rechnungen ordnungsgemäß zu erstellen.

Haben Sie Fragen rund um die Themen Physiotherapie und Umsatzsteuer?

Dann sprechen Sie uns gerne an!

Stefanie Anders

Partnerin, Steuerberaterin, Fachberaterin Gesundheitswesen (IBG/ HS Bremerhaven), Fachberaterin für Controlling und Finanzwirtschaft (DStV e.V.)

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