21. Juli 2021

Das EuGH Urteil zu Titanium und die umsatzsteuerlichen Auswirkungen

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Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) kann mittelfristig Auswirkungen auf die Umsatzsteuerverpflichtungen in Deutschland haben, sofern ein im Inland belegenes Grundstück von einer ausländischen Gesellschaft gehalten wird. Zum besseren Verständnis skizzieren wir Ihnen nachfolgend den Gang des Verfahrens, das EuGH Urteil zu Titanium und seine Auswirkungen.

EuGH Urteil zu Titanium – der Sachverhalt

Die Titanium Limited (nachfolgend „Titanium“) mit Sitz in Jersey vermietete eine in Österreich gelegene Immobilie. Die Vermietung geschah umsatzsteuerpflichtig und vermietet wurde an österreichische Unternehmer:innen. Die Verwaltung der Immobilie wurde durch ein von Titanium beauftragtes österreichisches Hausverwaltungsunternehmen übernommen. Die Hausverwaltung übernahm die typischerweise anfallenden Aufgaben. Dazu gehörte die Vermittlung von Dienstleister:innen und Lieferant:innen, Abrechnung der Mieten und Betriebskosten. Außerdem kamen die Dokumentation der Geschäftsaufzeichnungen, die Vorbereitung der Umsatzsteuererklärungen und vieles Weitere dazu. Diese Leistungen hat das Hausverwaltungsunternehmen nicht in der Immobilie von Titanium, sondern in anderen Räumlichkeiten erbracht.

Entscheidungshoheit lag bei Titanium

Bei Titanium verblieben dabei die Entscheidungshoheit über verschiedenste Fragen. Das betrifft beispielsweise die Mietverträge (Abschluss oder Kündigung). Außerdem die wirtschaftliche und rechtliche Konditionen der Mietverhältnisse und ob es Investitionen und Reparaturen an der Immobilie geben sollte. Außerdem entschied das Unternehmen, welche Dienstleister:innen zum Zug kommen – wozu auch die Hausverwaltung gehörte.

Finanzamt verhängte österreichische Umsatzsteuer infolge einer festen Niederlassung gegen Titanium

Titanium wies in den Rechnungen an die Mieter:innen keine österreichische Umsatzsteuer aus. Aufgrund ihrer mangelnden personellen Ausstattung ging Titanium davon aus, dass sie keine feste Niederlassung beziehungsweise Betriebsstätte in Österreich unterhielt. Deshalb ging Titanium auch davon aus, dass die Steuerschuld aus den Leistungen auf die österreichischen Leistungsempfänger übergehen würde (nach deutschem Recht §13b Abs. 5 S. 1 i.V.m. §13b Abs. 1 UStG). Das österreichische Finanzamt vertrat jedoch die Auffassung, dass die vermietete Immobilie eine feste Niederlassung begründe, und setzte gegen Titanium österreichische Umsatzsteuer fest. Gegen die Festsetzung der österreichischen Umsatzsteuer klagte Titanium.

Österreichisches Bundesfinanzgericht legte EuGH Frage zur Form einer Niederlassung vor

Der österreichische Bundesfinanzgericht legte dem EuGH die Frage vor, ob für die Begründung einer festen Niederlassung (Betriebsstätte) stets eine personelle wie technische Ausstattung gegeben sein muss oder ob die steuerpflichtige Vermietung im vorliegenden Fall auch ohne personelle Ausstattung als feste Niederlassung betrachtet werden kann.

EuGH Urteil zu Titanium und der Begriff der festen Niederlassung

In seiner Entscheidung kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass der Begriff „feste Niederlassung“ nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs einen durch das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel gebildeten Mindestbestand verlange. Daher setzt nach Ansicht des EuGH eine feste Niederlassung einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur voraus, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermögliche. Insbesondere sei bei einer Struktur, bei der es an eigenem Personal fehle, keine Subsumtion unter den Begriff „feste Niederlassung“ möglich.

Konsequenzen und Widerspruch zur deutschen Praxis durch das EuGH Urteil zu Titanium

Die Entscheidung des EuGH ist deshalb so bedeutsam, da die daraus resultierenden Konsequenzen im Widerspruch zur deutschen Praxis der Finanzverwaltung stehen. Die Finanzverwaltung vertritt bisher in Abschnitt 13b.11 Abs. 2 S.2 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) die Auffassung, dass eine Unternehmerin oder ein Unternehmer, die/der ein im Inland belegenes Grundstück besitzt und steuerpflichtig vermietet, als im Inland ansässig anzusehen ist. Für ausländische Unternehmer:innen, die in Deutschland eine Immobilie besaßen und vermieteten, bestand somit die Verpflichtung, sich in Deutschland für umsatzsteuerliche Zwecke zu registrieren und deutsche Umsatzsteuer in den Rechnungen auszuweisen. Diese Auffassung der deutschen Finanzverwaltung wird sich mittelfristig nicht aufrechterhalten lassen. Damit ist absehbar, dass es in Zukunft eine Änderung des UStAE gibt.

Unsere Einschätzung

Grundsätzlich besteht noch kein akuter Handlungsbedarf, da sich Steuerpflichtige weiterhin bis zu einer Änderung des UStAE unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes auf die bisherige Auffassung der deutschen Finanzverwaltung berufen können. Gleichwohl kann es ratsam sein, dass sich Unternehmer:innen mittelfristig auf die Umstellung einstellen. Dies kann dazu führen, dass umsatzsteuerliche Registrierungen in Deutschland obsolet werden.
Haben Sie hierzu Fragen oder benötigen Sie Unterstützung bei offenen Steuerbescheiden? Dann kommen Sie jederzeit gerne auf unsere Expertinnen und Experten zu! Wir stehen Ihnen gerne für einen Austausch zur Verfügung.

Sebastian Raphael Vogt

Prokurist, Head of Indirect Tax, Rechtsanwalt (Syndikusanwalt)

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