30. September 2020

Steu­er­iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer soll zur Bür­ger­num­mer wer­den

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Inhaltsverzeichnis

Die Steueridentifikationsnummer soll zur Bürgernummer werden. Das Bundeskabinett legte am 23. September einen Gesetzentwurf vor, der Entbürokratisierung verspricht. Doch was bedeutet das? Sind Bedenken berechtigt? Wir liefern einen Überblick.

Kern des Plans ist die Nutzung der Steu­er­iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer als umfassende Bür­ger­num­mer.

Was ist eine Bürgernummer?

Die Steueridentifikationsnummer soll zur Bürgernummer werden.

Auf diese Bürgernummer sollen 56 behördliche Register Zugriff haben, was den Datenaustausch zwischen Behörden vereinfachen würde. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass eine behördliche Datenabfrage nur mit Zustimmung der be­trof­fe­nen Per­son möglich ist. Über ein online verfügbares Datencockpit soll jeder Bürger zu jeder Zeit einsehen und nachverfolgen können, welche Daten zwischen welchen Registern ausgetauscht wurden.

Öffentliche Debatte zur Bürgernummer

Die Polarisierung in der öffentlichen Debatte war vorhersehbar. Die einen feiern Modernisierung, Vernetzung und Bürokratieabbau, die anderen warnen vor Datenmissbrauch und einem Überwachungsstaat. Der Kern der Sache kommt dabei – wie so oft – zu kurz. Wir haben Ihnen die elementaren Fakten zum Modernisierungsvorhaben der Bundesregierung zusammengetragen und geben Ihnen unsere juristische Einschätzung zu den Plänen.

Was vernetzte Melderegister bedeuten

In 56 Registern, sollen die Behörden auch die Steuer-ID speichern. Das Ausländerzentralregister gehört dazu, einige Bereiche der Rentenversicherung, das nationale Waffenregister, das Insolvenzregister oder das Versichertenverzeichnis der Krankenkassen. Sind die Register – unter DSGVO-Auflagen – vernetzt, macht das die Arbeit für Behörden und Bürger leichter.

Allerdings können die Behörden über die Personenkennziffer oder Bürgernummer eine persönliche Identität über alle angeschlossenen Register herstellen. Unternehmen, Grundstücke, Häuser, Versicherungen, alle Daten können einzelne Behörden mit den Grunddaten eines jeden Bürgers zusammenziehen.

Steuer-ID soll zur Bürgernummer werden: Datenschützer alarmiert

Ulrich Kelber, der Bundesdatenschutzbeauftragte sieht die Gefahr, dass persönliche Daten verknüpft und zu einem aussagekräftigen Persönlichkeitsprofil zusammengebaut werden können. Technisch geht das, das wurde in anderen Zusammenhängen – zum Beispiel bei der digitalen Patientenakte – vom Chaos Computer Club leider bewiesen. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass Daten-Experten der Bundesregierung bei der Umsetzung digitaler Vorhaben keinen Vertrauensvorschuss gewähren.

Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sieht verfassungsrechtliche Einwände gegen das Projekt. Eine Vernetzung der Behörden und Register via Steuer-ID berge erhebliche Schwierigkeiten beim Datenschutz. Die Wissenschaftler verweisen auf die gelebte Praxis in Österreich, die sie auch in Deutschland für verfassungskonform halten. Die Regierung in Österreich hat schon vor Jahren eine dezentrale Lösung etabliert. Dort werden verschiedene IDs für spezifische Themengebiete genutzt. Die IDs sind bereichsspezifisch und funktionieren in der behördlichen Praxis gut. Eine Zusammenführung von Daten aus vielen Registern wird deutlich schwieriger.

Unsere Einschätzung

Aus unserer Sicht ist jede Überlegung zum E-Government richtig und geboten. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung oder des Sozialversicherungssystems wird sich bei nüchterner Betrachtung keinesfalls aufhalten lassen.

Es kann nur um die richtige Balance gehen. Wir müssen die positiven Aspekte wie eine verbesserte Datenqualität in der öffentlichen Verwaltung und die damit einhergehende Entbürokratisierung mit verfassungsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Bedenken in Einklang bringen.

Bereits 1983 hat sich das Bundesverfassungsgericht im berühmten „Volkszählungsurteil“ gegen staatliche Datensammlungen ausgesprochen. Seitdem ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung festgeschrieben. Und das hat sich in den letzten Jahren als Ausprägung des Persönlichkeitsrechts etabliert. Vorrangig ist hierbei die technische und organisatorische Ausgestaltung der Datenverarbeitung. Die Nutzung bereichsspezifischer Identitätszeichen – wie in Österreich – ist ein erster sinnvoller Vorschlag und praktischer Ausgangspunkt.

Es bleibt abzuwarten, wie der Bundestag über die Sache beraten wird. Außerdem wird sich zeigen, ob nicht letztlich erst eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht der Bürgernummer den Weg ebnet.

Wir halten Sie auf dem Laufenden. Bei Fragen stehen Ihnen unsere Experten jederzeit zur Verfügung.

Jens Bühner

Partner, Rechtsanwalt, LL.M., Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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