Verschreibung ohne Indikation – strafbare Untreue zum Nachteil der Krankenkasse

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München – Der BGH hat mit Beschluss vom 16.08.2016 (4 StR 163/16), welcher erst jetzt veröffentlicht wurde, ohne jeden Zweifel entschieden, dass ein Vertragsarzt gegenüber einer Krankenkasse eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB innehat.
Damit setzt der BGH die inkonsequente Behandlung der Problematik konsequent fort. Der BGH hatte schon in der Aufsehen erregenden Entscheidung im März 2012 (GSSt 2/11) mitgeteilt, dass eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB durchaus bestehen kann; dies musste jedoch damals nicht weiter erörtert werden, da Gegenstand des Beschlusses lediglich die Frage war, ob ein Vertragsarzt ein Vertreter der Kasse sein kann und daher in dieser Funktion bestochen werden kann. Bekanntlich verneinte der BGH damals die Vertretereigenschaft eines Vertragsarztes im Hinblick auf seine Stellung zu den gesetzlichen Krankenkassen. Eine strafbare Bestechlichkeit wurde damit abgelehnt. Um diese vermeintliche Lücke der Ahndungsmöglichkeiten zu bekämpfen, wurde im Sommer 2016 nach hitzigen Diskussionen in Politik und Interessenverbänden der § 299a StBG geschaffen.
In der neuerlichen Entscheidung aus August 2016 hat der BGH die Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Kassen in Fällen der Verschreibung von nicht indizierten Leistungen bejaht. Für eine solche Vermögensbetreuungspflicht ist keine Vertretereigenschaft nötig. Der BGH drückt sich damit mittels strafrechtlichem Kunstgriff vor einer klaren Linie. Diese Taktik soll wohl zu viel Aufruhr in der Ärzteschaft vermeiden. Für den behandelnden Arzt wird das strafrechtliche Risiko seiner Tätigkeit jedoch immer unkalkulierbarer, da es an belastbaren Handlungsempfehlungen aus Rechtsprechung und Gesetzgebung fehlt.
Fakt ist: Ärzte können strafrechtlich jetzt „von beiden Seiten beschossen werden“, mit § 266 StGB und § 299a StGB. Frei nach dem homöopathischen Motto „viel hilft viel“. Der Grundsatz, dass Strafrecht stets „ultima ratio“ bleiben sollte, wird auf diese Weise stückchenweise ausgehöhlt.
Die o.g. Entscheidung wird einen wesentlichen Einfluss auf künftige Ermittlungsverfahren gegen Vertragsärzte nehmen, auch wenn sie inmitten der zum Teil heftig geführten Diskussionen über die Gesetzesänderungen zur Korruption im Gesundheitswesen etwas untergegangen ist.
Folgender gekürzt wiedergegebener Sachverhalt lag der Entscheidung vom 16.08.2016 zu Grunde:
Der angeklagte Vertragsarzt war als Chirurg und D-Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und betrieb eine eigene Praxis. Zudem arbeitete er als Kooperationsarzt mit den weiteren Angeklagten zusammen, die Gesundheitszentren für Physiotherapie führten. Der Arzt erstellte Heilmittelverordnungen für physiotherapeutische Leistungen, ohne die Patienten zuvor untersucht oder anderweitig konsultiert zu haben. Eine medizinische Indikation für die Verordnungen bestand nicht. Die Heilmittelverordnungen wurden sodann durch den Arzt an die Physiotherapeuten weitergeleitet. Im Gesundheitszentrum ließ man sich die Erbringung der Leistungen von den vermeintlichen Patienten bestätigen. Etwaige physiotherapeutische Behandlungen waren jedoch nicht erfolgt. Dies wusste der verordnende Arzt. Das Gesundheitszentrum reichte anschließend die Verordnungen bei den verschiedenen Krankenkassen ein, welche die Leistungen auch bezahlten. Der Arzt erhielt von den Zahlungen der Krankenkassen keinen Anteil. Es ging ihm lediglich darum, seine Stellung als Kooperationsarzt der Gesundheitszentren zu erhalten, da diese ein einträgliches Geschäft darstellte.
Der BGH hat nun entschieden, dass dem Vertragsarzt gegenüber den geschädigten Krankenkassen eine Vermögensbetreuungspflicht obliegt. Denn der Vertragsarzt konkretisiere durch seine Verordnung den gesetzlichen Anspruch des Patienten auf Krankenbehandlung gegenüber der Krankenkasse. Die Behandlung ist zu gewähren, sofern diese notwendig und das verordnete Heilmittel ausreichend zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Der Arzt habe hier durch seine Entscheidungshoheit eine tragende Rolle, wodurch er bei der Verordnung von Heilmitteln nicht nur eine rein tatsächliche Möglichkeit hat, auf das Vermögen der Krankenkassen einzuwirken. Vielmehr begründe das Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V eine wesentliche Pflicht zur Rücksichtnahme, es begrenzt die Leistungspflicht der Kasse und dient zugleich dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, der Sicherung von finanzieller Stabilität und der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Aufgrund des enorm hohen Stellenwertes dieses Wirtschaftlichkeitsgebots stellt die Beachtung eine Hauptpflicht des Arztes dar. Der BGH weist in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass die Pflichten des Arztes zur Wahrung der Interessen seines Patienten eine gleichzeitige Verpflichtung zur Wahrung der Vermögensinteressen der Krankenkassen, nicht ausschließen.
Der angeklagte Arzt hatte die Heilmittelverordnung ohne jegliche medizinische Indikation verschrieben und zudem in der Kenntnis gehandelt, dass die verordneten Leistungen nicht erbracht, aber gegenüber den Krankenkassen abgerechnet werden sollen. Damit war eine gravierende Pflichtverletzung gegeben und eine Verurteilung nach § 266 Abs. 1 StGB statthaft. Der BGH wies nebenbei daraufhin, dass die von der Vorinstanz verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung immer noch eine „maßvolle Ahndung“ darstelle.
Es ist daher zu erwarten, dass in künftigen Verfahren die einen ähnlichen Sachverhalt behandeln, durchaus höhere Strafen ausgesprochen werden.
Zudem steht – auch im Hinblick auf den neu eingeführten § 299a StGB – zu befürchten, dass ärztliche Handlungen künftig noch viel mehr unter strafrechtlichen Aspekten bewertet und auch geahndet werden.
Dr. Janika Sievert, Rechtsanwältin bei Ecovis in Regensburg, janika.sievert@ecovis.com
 
 
 

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