GKV-Versorgungsstärkungsgesetz: Neue Regeln für die Ärzte

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München, 14. Dezember 2015 – Die Ärzteschaft kommt nicht zur Ruhe. Wurden in der Vergangenheit die Rahmenbedingungen bereits regelmäßig geändert, rollt jetzt mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz eine neue Welle der Veränderung mit reichlich Zündstoff heran.
Die aktuelle Änderung kam nun mit dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz), kurz GKV-VSG. Dieses Gesetz bringt nicht nur viele Veränderungen mit sich, sondern wird auch für die Praxisnachfolge von weitreichender Bedeutung sein.
Praxisnachfolge mit Hindernissen
Beim Nachbesetzungsverfahren wird es durch die Neufassung des Paragraphen 103 Sozialgesetzbuch (SGB) 5 erhebliche Veränderungen geben. So besteht beispielsweise für Praxen in einem Planungsgebiet mit einem Versorgungsgrad von über 140 Prozent das Risiko, dass eine problemlose Übertragung der Praxis an einen Nachfolger nicht mehr ohne Weiteres möglich ist. Ab diesem Versorgungsgrad geht der Gesetzgeber nämlich davon aus, dass das betreffende Gebiet überversorgt ist. Mit der Neufassung des Gesetzes müssen die Zulassungsausschüsse zukünftig die Ausschreibungen von Vertragsarztsitzen zur Nachbesetzung ablehnen, wenn diese aus Versorgungsgründen nicht erforderlich sind. Die Formulierung des Gesetzes stellt damit eine erhebliche Verschärfung der bisherigen „Kann“-Regelung dar. Denn ab jetzt muss „stets“ geprüft werden, ob bei einer vorliegenden Überversorgung die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen erforderlich ist. Wann hingegen diese Erforderlichkeit vorliegt, ist nicht definiert und geregelt. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von den Zulassungsgremien nun mit Inhalten gefüllt werden muss.
Erwartet wird, dass seitens der Krankenkassen erheblicher Druck auf die Zulassungsgremien ausgeübt werden wird, um die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes zu unterbinden, sollte die Überversorgung jenseits eines Versorgungsgrads von 140 Prozent liegen – die Abgabe beziehungsweise Übernahme einer Praxis wird dadurch sicherlich nicht gerade leichter.
Wer plant, eine Praxis abzugeben oder zu übernehmen, sollte die gebotenen Möglichkeiten nutzen, um das anstehende Verfahren vor den Zulassungsbehörden günstig zu beeinflussen. Dies gilt insbesondere für kritische Planungsbereiche, die gesperrt beziehungsweise überversorgt sind, denn der Gesetzgeber hat dem Praxisabgabewilligen Instrumente an die Hand gegeben, die ihm die Abgabe erleichtern. Wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, prüft der Zulassungsausschuss nämlich nicht die Erforderlichkeit der Versorgung im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens.
Das begünstigte Verfahren
Eine Praxis kann nach bekannten Regeln wie bisher übergeben werden, wenn:

  • eine mindestens fünfjährige Tätigkeit des Praxisnachfolgers in einem Gebiet besteht, in dem der Landesausschuss das Bestehen einer Unterversorgung festgestellt hat;
  • es sich bei dem Nachfolger um den Ehegatten, den Lebenspartner oder ein Kind des bisherigen Vertragsarztes handelt;
  • sich der Erwerber verpflichtet, die Praxis in ein anderes Gebiet des Planungsbereichs zu verlegen, in dem nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund einer zu geringen Arztdichte ein Versorgungsbedarf besteht;
  • der Nachfolger ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder Partner in einer Berufsausübungsgemeinschaft mit dem abgebenden Vertragsarzt war. Dieses Kriterium wird jedoch verschärft, denn das Anstellungsverhältnis oder die gemeinschaftliche Berufsausübung muss mindestens drei Jahre lang bestanden haben. Für Gestaltungen, die vor der ersten Lesung des Gesetzes am 5. März 2015 im Bundestag gewählt wurden, gilt die dreijährige Frist allerdings noch nicht.

MVZ nicht mehr zwingend fachübergreifend
Bisher mussten Medizinische Versorgungszentren (MVZ) fachübergreifend tätig sein. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurde diese Anforderung ersatzlos gestrichen – mit weitreichenden Folgen.
War die fachübergreifende Tätigkeit früher ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der Medizinischen Versorgungszentren, so verschwinden mit der Neuregelung nunmehr dessen Konturen. Es stellt sich die Frage, ob nicht aus jeder Gemeinschaftspraxis oder Berufsausübungsgemeinschaft auch ein MVZ gemacht werden kann. In der Fachwelt wird nun heftig diskutiert, ob aus dem Wort „Ärzte“ abgeleitet werden könne oder müsse, dass es sich um mehrere Ärzte handeln müsse, oder ob auch ein Ein-Mann-MVZ gegründet werden könne. Hier wird man die Klärung durch die Rechtsprechung der Zulassungsgremien genau beobachten müssen.
Besondere Bedeutung erlangt die Gründung eines MVZ dann, wenn dies in der Rechtsform einer GmbH geschieht. Wird durch die Beantragung der Anstellung in ein MVZ der Sitz auf die MVZ-GmbH übertragen, so wird diese Inhaberin der Zulassung. Es findet keine Prüfung mehr statt, ob die Übertragung der Zulassung auf das MVZ aus Versorgungsgründen erforderlich ist oder nicht. Es handelt sich nach wie vor um eine gebundene Entscheidung.
Das Recht auf Zweitmeinung
Bei bestimmten Indikationen steht Patienten, die sich einem planbaren Eingriff unterziehen müssen, das Recht zu, sich auf Kosten der Krankenkasse eine Zweitmeinung einzuholen. Diese Zweitmeinung kann nicht bei einem Arzt oder einer Einrichtung eingeholt werden, durch den oder die der Eingriff durchgeführt werden soll. Näheres wird der gemeinsame Bundesausschuss in seinen Richtlinien bestimmen – auch hier ist Abwarten angesagt.
Terminservicestellen
Zur schnelleren und besseren kassenärztlichen Versorgung wurde die Einrichtung von Terminservicestellen aufgenommen. Aufgabe dieser Terminservicestellen soll es sein, Patienten schneller einen Facharzttermin zu vermitteln. Dieser muss innerhalb von vier Wochen erfolgen. Ist dies nicht möglich, so müssen die Terminservicestellen dem Versicherten einen ambulanten Termin in einem Krankenhaus anbieten.
Ungeachtet der Voraussetzungen zur schnelleren Versorgung sind hiervon Routine- Untersuchungen und Bagatellerkrankungen ausgenommen. Es bleibt daher abzuwarten, welche tatsächliche Verbesserung der Versorgung durch die Einrichtung der Terminservicestellen erreicht werden wird.
Auch zukünftig werden die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Fachärzte verpflichtet sein, entsprechend den Regelungen im Bundesmantelvertrag Sprechstunden anzubieten und im Rahmen der angebotenen Sprechstunden Patienten zu behandeln. Erfüllt ein Arzt seinen Versorgungsauftrag voll, kann beziehungsweise braucht er keine weiteren Patienten zu behandeln. Hiervon losgelöst droht aber eine Gefahr für die Vergütung der niedergelassenen Fachärzte, da die Terminservicestellen die Patienten in die Krankenhäuser zur ambulanten Versorgung schicken können, falls für die Patienten binnen angemessener Frist keine Termine gefunden werden. Hier sollten sich die Fachärzte überlegen, sich die Vergütung nicht noch weiter kürzen zu lassen, auch wenn im Einzelfall vielleicht für die Behandlung kein Geld gezahlt wird.
Weiterbildungsförderung
Neu ist, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet werden, die Aus- und Fortbildung für Allgemeinmediziner besonders zu fördern. Die Kosten der Förderung sind durch die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen jeweils zur Hälfte zu tragen, die Zuschüsse der Krankenkassen sollen außerhalb der Gesamtvergütung bezahlt werden. Des Weiteren soll die Förderung von einem Weiterbildungsassistenten auf die im Krankenhaus übliche Vergütung angehoben werden.
Dadurch erhöht sich die Attraktivität der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten, da qualifizierte Ärzte zu krankenhausüblichen Vergütungen angestellt werden können. Unter Umständen erleichtert ein Weiterbildungsassistent den Praxisbetrieb; es muss aber darauf geachtet werden, dass der Kollege den Arzt nicht vertreten darf, da er ja ausgebildet werden soll.
Verträge über besondere Versorgung
Der bisher mit „Integrierte Versorgung“ überschriebene Abschnitt im SGB 5 wird zukünftig die Überschrift „Besondere Versorgung“ tragen. Nunmehr können Krankenkassen mit Ärzten, MVZ, deren Trägern, Pflegekassen und zugelassenen Pflegeeinrichtungen, Praxiskliniken, pharmazeutischen Unternehmern, Herstellern von Medizinprodukten sowie der Kassenärztlichen Vereinigung, soweit diese zur Unterstützung von ihren Mitgliedern tätig wird, Verträge zur besonderen Versorgung schließen. Krankenkassen sollen in verschiedenen Leistungssektoren übergreifende Versorgung ermöglichen. Sie dürfen dadurch sogar den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung nach Paragraph 75 Absatz 1 SGB V einschränken. Neuerdings kann auch von den zwingenden Regelungen des SGB V und auch von den Regelungen des Krankenhausfinanzierungs- beziehungsweise Krankenhausentgeltgesetzes abgewichen werden.

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